Schutzhülle

Als ich vorsichtig die Türe aufschiebe sitzt sie alleine auf dem Sofa. Tränen laufen über ihre Wangen, die Füße angewinkelt, die Augen geschlossen. Mein Blick bleibt in ihrem Gesicht hängen, streicht kurz über ihre Nase, ihren Mund und über die Wangen zurück zu den Augen. Schwarze Striche hinterlassen die Tropfen bevor sie hinunterfallen. Ich komme näher. Schritt für Schritt. Sie hört mich nicht.

Aus meinem Hinterkopf hole ich das Bild vom letzten Sommer hervor. Als wir in der Abendsonne auf einer Bank gesessen sind. Nur wir zwei. Die Wolken in einem rotorangen Schein. Laubbäume um uns herum, eine kleine Wiese. Wenn man ein paar Dutzend Schritte nach vorne geht, kann man den Hügel hinabschauen, durch das kleine Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf. Es ist nicht tief und die Hügel haben mit den Bergen meiner Heimat nur wenig gemein. Aber ich mag die Gegend. Sie ist so sanft und im Licht der Abendsonne noch weicher als sonst.

Ich strecke meinen Arm aus, möchte über ihren Kopf streichen, doch erreiche sie nicht. Sie kann mich nicht hören. Mit leeren Augen setze ich mich neben sie auf das Sofa, lehne mich an sie an, umarme sie. Das leise Schluchzen umschnürt meine Brust, hält meinen Atem fest und drückt auf mein Herz. „Weine nicht“, möchte ich ihr ins Ohr flüstern, „ich bin da. Ich bin immer da.“ Es geht nicht. Unsere Welten sind eins und doch kann ich sie nicht halten.

Wir stehen in der Küche, sie lacht. Mit einer Serviette wische ich mir die Soße aus dem Gesicht, während sie schon wieder weiter rührt. Ich stehe hinter ihr, küsse sanft ihren Nacken, spüre ihr lächeln. Sie dreht sich um, wir umarmen uns.

Dann steht sie auf. Obwohl ich mich lange gesträubt habe, weil ich nicht wollte, dass sie so wird wie ich, habe ich ihr ein Stück von meiner Hülle geschenkt. An der so viele abprallt. Weil man manchmal nicht die Kraft hat sich damit auseinanderzusetzen, weil man es nicht kann, wenn es einem zu nahe kommt. Sie wischt die Tränen aus ihrem Gesicht und geht auf den Balkon. Als sie in die Ferne blickt, kann ich ein kleines Lächeln erkennen.

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