Seit ich die Ausschlussdiagnose bekommen habe, geht es mir nicht besonders gut. So sehr habe ich mich daran geklammert. Das erklärt mich. Ich bin kein Versager, ich funktioniere nur anders. Pustekuchen. Zwei Monate ist es her. Von diesen habe ich mich nur an acht Tagen gut gefühlt. Der Rest war okay, schlecht oder beschissen. Sagt zumindest die App, mit der ich das tracke.
Verzweifelt wie weitermachen, hat mir eine Bekannte empfohlen es mit Soziotherapie zu probieren. Die könnte mir helfen. Bei der Alltagsbewältigung als auch bei der Suche von Psychotherapie oder anderen Maßnahmen. Sie hat mir sowohl eine Einrichtung genannt, die Soziotherapie anbietet, als auch dass ich sie per Mail kontaktieren kann. Das war konkret genug, dass ich es auch gemacht habe. Ein paar Mails und ein überflüssiges Telefonat später, wusste ich, dass mein Hausarzt ein bestimmtes Formular ausfüllen muss, mit welchem ich die ersten fünf Stunden Soziotherapie bekomme, welche hoffentlich reichen, um gemeinsam eine*n Psychotherapeut*in zu finden, welche bis zu 120 weitere verordnen kann.
Mit viel Überwindung beim Hausarzt angerufen, um einen Termin auszumachen. Worum es ginge. Depression. Dann würde der Termin am Ende der Sprechzeiten stattfinden, weil er sich dafür ausreichend Zeit nehmen möchte. Fand ich gut.
Heute war es soweit. Ich hatte einen Stapel mit Diagnosen und Untersuchungsergebnissen von früher ausgedruckt. Das erste mal war ich vor 11 Jahren wegen Erschöpfung bei einer Ärztin. Damals Verdacht Schilddrüsenunterfunktion, aber keine Medikamente. Wieder vor sieben Jahren. Seitdem Schilddrüsenhormon. Dazwischen Diagnose Hochbegabung und schließlich Ausschlussdiagnose Autismus, dafür Verdacht Sozialphobie und Zwangsstörung. Zusätzlich habe ich meine Notizen beigelegt, die ich über ein Jahr lang als Vorbereitung auf die Autismus-Diagnostik angelegt hatte, die aber wahrscheinlich nie angeschaut wurde. Oben drauf Screenshots aus der App, die zeigt wie sich meine Stimmung im Laufe des aktuellen Jahres verschlechtert hat und eine Seite Zusammenfassung der aktuellen psychischen, der allgemeinen psychischen und der physischen Symptome sowie die medizinische Vorgeschichte und was ich mir vom Termin erhoffe. Nicht ausgedruckt habe ich den Gesprächsverlauf, den ich für mich vorbereitet hatte. Trotzdem durch das Gespräch gestolpert.
Der Arzt hat mir zugehört, musste kurz Lachen und sich entschuldigen, als ich von meiner Enttäuschung erzählte, dass ich keinen Autismus hätte. Die Atmosphäre war angenehm. Wie geplant war ich der letzte Patient. Wir waren alleine in der Praxis und wenn ich es gebraucht hätte, hätte er sich auch länger als die halbe Stunde genommen, die wir miteinander gesprochen haben. Das Formular für die Soziotherapie hat er im Computer nicht gefunden, aber mir ein Attest ausgestellt, auf dem steht, dass es wie das Formular gilt. Und wenn das nicht passt, soll sich die Krankenkasse bei ihm melden. Oder so. Meinen Wunsch nach einem Bluttest, um auszuschließen, dass irgendwelche Mängel verantwortlich sind oder verstärken ist er auch nachgekommen. Drei Ampullen hat er am Ende des Gesprächs abgenommen. Ergebnis dann am Montag. Wenn etwas relevantes dabei ist, meldet er sich. Wenn ich das Ergebnis auch möchte, wenn nichts dabei ist, soll ich mich dann melden. Auf meine Frage, ob er die Unterlagen möchte, meinte er, dass er gerne mal reinschaut.
Beim Gehen meinte er noch, dass ich mich melden solle, wie es mit der Soziotherapie läuft, weil es für ihn das erste Mal ist.
Als ich die Praxis verlassen habe, war ich erleichtert und zufrieden. Ich hatte alles, was ich wollte. Dann bin ich im Kopf nochmals alles durchgegangen und habe mich über mich selbst geärgert, dass ich nicht offener mit meinen eigenen Vermutungen war. Eigentlich hätte ich noch gerne angesprochen, dass ich vermute Ehlers-Danlos-Syndrom zu haben, mindestens aber Hypermobilität. Vielleicht irgendwann.