Problemverhandlung

Seit Monaten warte ich auf meine Diagnose. Jetzt ist sie da und ich bin unglücklich. Warum eigentlich? Autismus wurde ausgeschlossen. Stattdessen Soziale Phobien und möglicherweise Zwangsstörungen. Inzwischen habe ich mich oberflächlich eingelesen. Ja, soziale Phobien könnte passen. Ich habe zwar keine Probleme damit in kleinen oder großen Gruppen zu sprechen, aber die Interaktion mit einzelnen Personen empfinde ich als anstrengend, weil ich entschlüsseln muss, was mein Gegenüber meint, und ich darauf achte, mich so auszudrücken, dass mein Gegenüber mich versteht. Deshalb vermeide ich solche Situationen. Asynchrone Textkommunikation ist mir lieber. Ich habe so viel Zeit, zum Verstehen und Formulieren, wie ich brauche.

Unglücklich bin ich, weil soziale Phobien nur einen kleinen Teil meiner Probleme erklärt. Es fällt mir schwer Entscheidungen zu treffen, was dazu führt dass ich sie häufig so lange hinauszögere, bis sie jemand anders trifft oder die Zeit abläuft. Oft fehlt mir die Energie Aufgaben zu erledigen. Vor allem, wenn ich sie nicht interessant finde. Stattdessen starre ich dann stundenlang den Bildschirm bis der Stress so groß ist, dass ich sie erledige. Das sorgt dafür, dass ich oft unzufrieden genervt bin. Damit verbunden ist auch meine häufige Antriebslosigkeit, wo mir jede kleinste Handlung schwer fällt. Etwa aufstehen. Also bleibe ich sitzen und ärgere mich über mich selbst. Als ich damit vor Jahren bei meiner damaligen Ärztin war, meinte sie, meine Schilddrüse sei Schuld und ich bekam Tabletten, die ich seitdem täglich nehme. Für eine gewisse Zeit hatte ich das Gefühl, dass sie geholfen haben und wenn ich sie länger vergesse, merke ich, dass die Tage noch anstrengender sind. Dann sind da meine abendlichen Stimmungsschwankungen. Meist eine innerliche Wut und Gereiztheit, sodass ich bei der kleinsten Irritation explodiere. Meine ganzen sensorischen Schwierigkeiten. Leise Geräusche, wie das Ticken einer Uhr oder ferne Gespräche lenken mich ab. Ich liebe meine Noise Cancelling Kopfhörer. Laute Geräusche tun mir weh. Helles Licht tut mir in den Augen weh, ich kneife sie dann schnell zusammen und bekomme dann Knopfschmerzen. Sonnenbrillen helfen etwas. Bildschirmhelligkeit runterdrehen auch. Und natürlich abgedunkelte Räume. Das Gefühl von sandiger Haut auf Stein bereitet mir schon beim Gedanken daran Unbehagen. Während dem Essen stehe ich öfters auf, um meine Hände zu waschen. Wenn sie etwas klebriges oder schmieriges berührt haben. Aber auch Dinge, die klebrig werden könnten, wie etwa Mehl. Ich ertrage es nur schwer, wenn andere in meinen Augen schmutzige Finger haben. Vor allem, wenn sie damit Gegenstände anfassen. Bevor ich am Computer arbeite, wasche ich mir die Hände, um ihn nicht schmutzig zu machen. Und ja, mein Unwohlsein im Umgang mit Menschen ist auch ein Problem. Aber nur in bestimmten Situationen. Ich halte Vorträge vor tausenden von Menschen, trete im Fernsehen auf, halte Workshops und beteilige mich in Meetings. Aber ich meide Telefonate und Kontakt zu Menschen aufzunehmen und Gespräche ohne Ziel (sogenannter Smalltalk) fallen mir schwer. Ich interessiere mich nur für wenige Dinge. Wenn ich Menschen, die mir wichtig sind, denke ich nicht an sie und ohne Kalender würde ich jegliches wichtiges Ereignis vergessen. Konflikte belasten mich, weshalb ich ihnen so gut wie möglich aus dem Weg gehe und sei er noch so klein.

Von dem, was ich gelesen und gesehen habe, würde Autismus den Großteil der Symptome erklären. Gerade Pathological Demand Avoidance. Nun war ich aber bei einer der angesehensten Einrichtung zu Autismus bei Erwachsenen und mir wurde nach zwei Terminen gesagt, dass es eben kein Autismus ist. Für mich ist das derzeit belastend, weil Autismus im Laufe des letzten Jahres zu einem Teil meines Selbstverständnis wurde. Das hat mir geholfen. Ebenfalls wie bestimmte Strategien und Werkzeuge, wie man damit umgehen kann. Noch rede ich mir ein, dass die Diagnose falsch sein könnte, weil ich versucht habe sie nicht zu beeinflussen und deshalb viele Aspekte unklar ausgedrückt habe. Es ist auch schwierig im ersten Gespräch sich direkt zu demaskieren (die Termine fanden mit unterschiedlichen Personen statt). Andererseits muss ich akzeptieren, dass es sich um Experten handelt, die es trotzdem korrekt beurteilen können sollten.

Das Diagnoseschreiben endet damit, dass die Anzeichen für soziale Phobie und Zwangsstörung in einer solchen Spezialsprechstunde nicht weiter klassifiziert und eingeordnet werden können, weshalb eine weitere Diagnostik empfohlen wird. Es hat mich eineinhalb Jahre und viel Energie gekostet, um hierher zu kommen und es fühlt sich an als würde ich wieder am Anfang stehen. Ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll. Wahrscheinlich ein Termin beim Hausarzt, um über die Diagnose und weitere Schritte zu sprechen.

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