Ausredung

Oh, hi, da bist du ja wieder. Das ist diesmal schnell gegangen. Gibt es einen besonderen Grund?

Es ist sechs Uhr. Ich habe in der Früh Mails beantwortet, hatte am Vormittag ein Meeting und dann gearbeitet. Am Nachmittag zwei Stunden Beiratssitzung. Aber sonst habe ich nichts geschafft. Jetzt ist es sechs Uhr.

Das klingt als wärst du produktiv gewesen. Nur weil du nicht alles schaffst, was du dir vornimmst, bedeutet nicht, dass du nichts geschafft hast. Kannst du dich noch erinnern, dass du dir einmal vorgenommen hast, pro Tag eine Sache zu schaffen? Davon abgesehen ist deine Wert nicht deine Produktivität. Auch wenn du das schon längst übernommen hast.

Aber vier Stunden habe ich prokrastiniert. Twitter, Tiktok, Reddit. Dabei muss ich bis übermorgen einen Aufsatz schreiben und einen Workshop vorbereiten. Ich bin anderen seit zwei Monaten Sachen schuldig. Fünf weitere Aufgaben ohne explizitem Zeitpunkt, die aber auch schon zu lange unbearbeitet rumliegen. Und jetzt, nach der Arbeitszeit, sollte ich mich um die Steuererklärung kümmern und um die davor und um die Umsätze, die noch nicht korrekt verbucht sind. Ich habe nicht einmal einen Vortrag bei der re:publica eingereicht. Zum ersten Mal. Weil ich keine Kraft mehr habe.

Vier von zehn Stunden. Nachdem du letzte Woche noch krank im Bett lagst. Und die Woche davor. Und mehrere Wochen im November. Niedergestreckt von einem Virus. Da bleiben auch einmal Sachen liegen. Das ist in Ordnung. Du arbeitest am effizientesten kurz bevor es zu spät ist und wenn es schon lange zu spät ist, ist es egal, ob es noch einen Tag länger dauert. Du weißt wie du deine Aufgaben priorisieren musst. Dir wurde gesagt, dass du dich diese Woche schonen sollst, damit du beim Termin am Freitag fit bist. Du wirst geschätzt. Die Menschen sind froh, dass du da bist. Das mit der re:publica ist schade. Ich weiß wie wichtig sie dir ist. Aber vielleicht ist es auch einmal schön einfach dort zu sein. Ohne Verpflichtung.

Ich musste kurz weg. Andere Feuer. Löschen konnte ich sie nicht. Nur etwas eindämmen. Und der Dozent hat mir geschrieben. Er freue sich auf meinen Aufsatz. Das wird meine morgige Aufgabe sein. Und wenn sonst noch etwas schaffe, ist das gut und wenn nicht, dann ist es auch okay.

Genau. Und jetzt machst du Feierabend. Die Aufgaben verschwinden nicht, aber du darfst sie bis morgen ziehen lassen. Mindestens. Du bist wertvoll.

Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet.

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