Wolkenschauer

Guinness mochte ich noch nie. Weder die Farbe noch den Geschmack. Früher trank ich noch öfters Cider. Apfelwein. Strongbow war die Marke, die wir in der kleinen Stadt bekamen. Ich bestelle Tee. Mit Milch. Neben mir das kleine Notizbuch, der Stift steckt in der Lasche. Ich ziehe ihn heraus, spiele damit herum. Klopfe damit auf den Tisch und stecke beides wieder weg. Mein Tee ist da. Ich leere die Milch hinein, beobachte, wie er sich langsam verfärbt, die Muster die sich bilden und wieder verschwinden, bis es nur noch eine gleichfarbige Flüssigkeit ist. Der Kellner schaut mich immer wieder an. Sie haben nicht oft Fremde in dieser Gegend. Die Touristen, die kommen, kennen sie schon aus dem Vorjahr. Abschalten kann man gut in diesem Dorf. Jedenfalls kann ich mir das für Leute vorstellen, die viel Ruhe brauchen. Mir tut es nicht schlecht, aber schon der erste Tag hat gereicht. Großartig war es der Küste entlang zu gehen, sich auf die Felsen zu setzen und einmal keine Menschen um sich zu haben. Das Gras beobachten, wie es vom Wind getrieben Muster bildet. Die weißen Wellen und die grauen Wolken. Gute Luft. Ich hasse das Gefühl von Salz auf der Haut. Fühle mich unrein, habe das Bedürfnis zu duschen. Wenn ich mich abgetrocknet habe, schlüpfe ich in frische Kleidung, genieße für ein paar Sekunden das Gefühl und lebe weiter.

Niemand wirft dir vor etwas falsch gemacht zu haben, du solltest dir nur Urlaub nehmen.

Abwarten. Tee trinken. Eine Gruppe Jugendlicher kommt in den Pub. Ich sitze in einer Ecke, schräg hinter der Bar. Sie sehen gut gelaunt aus. Lachen. Der Kellner will keinen Ausweis sehen. Es ist ihm egal, wie alt sie sind. Kontrollen gibt es hier nicht und die Eltern erfahren es sowieso vom Wirt. Sie bestellen Guinness. Ich nippe an meinem Tee. Er ist bitter. Die Milch gibt ihm ein sanftes Aroma. Mir ist er zu heiß. Weiterwarten. Wie sich die Menschen hier unterscheiden von meinem normalen Umfeld. Internet wird noch als Fremdwort gesehen. Am Abend sitzen die Familien gemeinsam vor dem Fernseher und warten gespannt auf die Nachrichten. Ich spaziere dann gerne durch den Ort und blicke durch die Fenster in fremde Welten. Noch habe ich es geschafft mein Handy nicht anzurühren. Es liegt ausgeschalten auf dem Schreibtisch. Jeden morgen glänzt es mich an. Möchte gehalten und berührt werden. Einen Knopf drücken, ein bisschen über den Bildschirm streichen. Erfahren was da draußen passiert. Ein paar Mails lesen. Ich könnte Fotos machen und sie hochladen. Nein. Ich gebe mich der Abgeschnittenheit des Dorfes hin. Wenn ich etwas brauche fahre ich mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt. Eine dreiviertel Stunde. Einkaufen gehen. Vielleicht ein Magazin kaufen. Durch die Fußgängerzone schlendern. Ein bisschen Hektik schnuppern. Einkaufszentren. Morgen. Oder übermorgen. Vielleicht gar nicht. Noch einen Schluck Tee.

Wir stehen alle hinter dir.

Nur die Hauptstraße ist beleuchtet. Die kleinen Gassen geben sich der Finsternis hin. Ich gehe ohne zu sehen. Dunkelheit die die Häuser erfasst. Bis sich die Augen an das schwache Licht des Mondes gewöhnt haben. Vor der Küste dreht ein Leuchtturm seinen Lichtkegel. Ein Flugzeug blinkt am Himmel. Mir ist kalt. Und immer das Rauschen des Meeres. Die Hand in der Tasche umfasst den Block, spürt den Stift. Langsam streiche ich über den rauen Einband. Er umgibt all die weißen Seiten und fühlt sich an, als hätte er so etwas schon oft gemacht. Geübt im Umgang mit Blättern. Geduldig wartet er bis sie sich mit Buchstaben füllen und ihm dann entrissen werden. Nie wieder wird er mit ihnen verbunden sein. Ich stolpere. Kopfsteinpflaster. Der Mond ist nur noch eine dünne Sichel. In wenigen Tagen werde ich nichts mehr sehen, wenn ich vom Pub zur Pension gehe. Vielleicht kaufe ich mir eine Taschenlampe, um nicht ganz allein zu sein. Die soll mir dann zeigen, dass es auch ohne Hilfe von außen geht. Einfach auf den kleinen Knopf drücken und schon erhellt sich die Welt.

Du musst es als Möglichkeit sehen.

Das Bettzeug ist rau. Rau und kalt. Ich ziehe es bis unter das Kinn. Auf keinen Fall die Nase verdecken. Der Luftstrom darf nicht abgelenkt werden. Auch nicht außerhalb des Körpers. Dann kann ich nicht mehr schlafen. Fühle mich unwohl. Muss die Decke wieder richten. Eng um mich geschlungen. Es ist Herbst. Das Klima hier ist mild. Auch im Winter. Schnee gibt es nur selten. Liegen geblieben ist er in den letzten zehn Jahren nur einmal. Doch damals für den ganzen Winter. Mein Kopf beginnt wieder englisch zu denken. Das passiert immer, wenn ich mich länger mit jemanden unterhalte. Die Wörter werden nicht mehr umgewandelt, sondern direkt verarbeitet und dafür muss die Systemsprache umgestellt werden. Der Code muss geändert werden. Wenn ich dann alleine bin, muss ich mich erst wieder daran gewöhnen auf deutsch zu denken. Schreiben. Mein englisch ist schrecklich. Ich werde verstanden, aber auch nur weil man es aus dem Zusammenhang erkennt. Inzwischen ist es mir egal. Sie wissen es schon und machen sich nichts daraus. Sie akzeptieren.

Energie tanken für den Durchbruch.

Vom donnern wache ich auf. Ich zittere. Im Kasten liegt eine zweite Decke, doch ich will mich nicht der Kälte auf den Weg dorthin stellen. Die Beine eng an den Körper gezogen, die Arme verschränkt. Durch das Fenster sehe ich die Blitze. Faszinierende Ereignisse. So viel Energie, die in einem Sekundenbruchteil verbraucht wird. Für Licht und Ton. Verästelte Linien aus brennender Helligkeit. Ich stehe auf, die Decke um die Schultern gewickelt. Auf dem Rückweg bleibe ich am Fenster stehen. Ein Blitz nach dem anderen rast auf die Erde. Zersplitterndes Holz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert