Wiederfindung

„Hast du mich vergessen?“
„Ja. Manchmal. Kann man jemanden manchmal vergessen? Ich weiß es nicht. Du fehlst mir. Nachts. Manchmal tagsüber. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, möchte ich mich zu dir setzen. Eine Zeit lang schweigend da sitzen, dann dir zuhören, manchmal nicken und sonst nichts.“

Mein Leben macht keine Pausen mehr. Ich lasse keine Pausen zu. Ständig tickt etwas, entweder ich muss etwas machen oder jemand möchte etwas von mir. Es ist meine eigene Verantwortung. Natürlich. Aber ich schaffe es nicht. Ich habe Angst. Angst, Dinge kaputt zu machen, wenn ich das auch noch bemängle. Und dann platze ich. Weil ich zu lange gewartet habe. Die meiste Zeit bin ich ein Pulverfass, das bei der kleinsten Erschütterung explodiert. Ich lösche mich selbst, bin für den Rest des Tages aber nicht mehr zu gebrauchen. Muss meine Einzelteile zusammensammeln, während ich schon wieder übergebe, weil ich die Dinge nicht fangen kann, die mir zugeworfen werden. Es überrascht mich, wie gut ich trotz allem funktioniere. Ich bin unsortiert und ziellos. Meist ist das auch in Ordnung. Entscheidungen spontan treffen, sich von den Möglichkeiten, die sich bieten treiben lassen. Manchmal wünsche ich mir mehr Stabilität. Bald wieder Tabletten. Nichts starkes, nur ein Ersatz, der bestimmte Hormonproduktionen auf Normalniveau bringt, weil mein Körper sich nicht selbst darum kümmert. Die ersten Tage nachdem sie fertig waren, habe ich keinen Unterschied bemerkt, inzwischen ertappe ich mich wieder öfter, dass ich mich verstecke und Dinge aufschiebe, die mir normalerweise Spaß machen. Anfangen war schon immer schwierig, aber nicht so schwierig.

Sowohl im Wohnort als auch an der Universität habe ich Dinge aufgebaut, die mich in eine interessante Position bringen. Erst unbewusst, inzwischen wird es mir klarer. Ich finde es spannend und fordere heraus. Macht durch Reichweite. Meine Energie wäre woanders wahrscheinlich sinnvoller investiert.

„Was bedeutet sinnvoll?“
„Darf ich mich an dich kuscheln?“

Es bleibt nicht viel Platz neben dem Kind. Nicht im Kopf, nicht im Bett, nicht in der Zeit. Das gehört dazu. Ich habe mich damit abgefunden, denke aber manchmal daran, wie man es etwas lockern könnt. Also, ich fantasiere, dass es sich von alleine verändert. Es ändert sich auch vieles ständig.

Der Abschluss steht seit einem Jahr vor der Türe, aber ich mache nicht auf. Weil ich faul bin. Weil mich das Thema dann doch nicht so sehr fesselt wie alle anderen Dinge, die herumschwirren und ich gut im Verdrängen bin. Irgendwas historisches. Mit Medien und Angst und Krankheit. Eine Seite voller Notizen, aber keine Recherche. Die würde mich vielleicht fesseln und dann würde ich nicht mehr loslassen und das fertig machen. So der Plan. In den nächsten Tagen mache ich das. Ich reserviere mir zwanzig Minuten und dann suche ich einmal quer durch. Dann schreibe ich dem Betreuer und dann mache ich das fertig. Einfach so. Und wenn ich dann aufwache, werden es andere Dinge sein, die meinen Schweiß ausbrechen lassen.

„Bis bald.“

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