Ihr schreit nicht laut genug.
Der Sommer hat sich zurück gemeldet. Er wird von einer späten Kälte immer wieder von den Straßen verwiesen, aber hoch darüber bleibt er. Aus der Ferne schickt er mir grelle Sonnenstrahlen, die mich am Weg zur Straßenbahn blenden. Ich sehe nach oben, das Glitzern auf den Hausdächern und blauer Himmel. Ein paar Schritte weiter bläst mir wieder ein kalter Wind entgegen. Ich fühle mich verlassen, einsam. Den Mantel lasse ich schon länger zu hause, die Härchen auf den Armen stellen sich auf und versuchen einen Schutzwall zu bilden. Das funktioniert in etwa so gut, wie Streichhölzer im Monsun. Dann steige ich aber auch schon ein.
Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben sind schon mehrere Monate vergangen. Es tut mir weh, wenn sie mir erzählt, wie sehr sie mich vermisst. Wir erinnern uns an die gemeinsame Zeit und träumen von der Zukunft. Im Sommer werden wir in die Türkei fahren. Feiern und genießen. Am Strand liegen, nur wir zwei. Ich spüre ihre Hand, schmecke die salzige Luft und möchte sie küssen. Doch auch das ist noch Monate entfernt.
Wir haben uns dafür entschieden. Wurden entschieden. Haben aber nicht abgelehnt. Zwei Menschen, deren Zelte zu fest verankert sind. Der Abbau würde nicht nur den ganzen Boden aufreißen, sondern auch die Zelte selbst. Schnüre, die schon in Bäumen verwachsen sind und sich nicht ohne Verluste entfernen lassen.
Ich stehe auf einem kleinen Hügel, blicke über die Stadt. Die Stadtwerke, das Krankenhaus, der Stephansdom. Ich mag die Stadt. So viel hat sie mir schon gegeben. Und so viel genommen. Möglichkeiten, die ich nicht so schnell aufgeben wollte. Möglichkeiten, auf die ich jetzt zurückgreifen will. Zu spät. Es soll Menschen geben, die nach dem Motto, hinter mir die Sintflut, leben können. Ich kann es nicht. Ich stehe auf einem kleinen Hügel und blicke über diese Stadt. Wien. Manchmal möchte ich schreien.
Als das Wetter wieder besser wird, nehme ich das Rad. Fahre durch die Straßen, mal durch kleine Parks, dann wieder auf den mit Touristen befüllten Einkaufstrassen. Der Fahrtwind tut gut, hilft beim sortieren der Gedanken. Den Rest schaltet die Musik aus. Ich bin glücklich. Wie ich bin. Wer ich bin. Mit wem ich bin. Ein Leben, wie ich es früher immer erträumt habe. Etwas weniger Glitzer, aber dafür weiß ich, wo ich ihn holen könnte. Und dass ich das im Moment nicht möchte. Der Mittelpunkt ist verlockend, kann aber noch auf mich warten. Dass das alles mein Problem nicht löst, fällt mir erst später ein. Vielleicht ist es auch gar kein Problem. Ich mache nur eines daraus. Bilde mir ein, dass es anders sein müsste. Dass es keinen sinnvollen Weg gibt, macht mir zu schaffen. Der einzige mögliche muss zugleich der richtige und der falsche sein. Solange es der einzige ist, werde ich ihn auch gehen.
Probleme lösen sich beim Gehen. Beim Gehen ändert sich nämlich die Perspektive, das erzeugt neuen Zugang zu Dingen die eingefahren, absurd oder langweilig banal erscheinen. Entscheidend ist für mich daher nicht welchen Weg ich einschlage. Vielmehr erscheint mir wichtig, daß ich MEINEN Weg auch GEHE! Und hier bevorzuge ich vor den breiten. Ausgetretenen Autobahnen jene schmalen, verwinkelten, aufregenden Pfade, bei denen hinter jeder Kurve & Weggabelung ein Abenteuer wartet.