Schönheit

Ich halte nichts von Diäten. Manchmal fühle ich mich fett.

Die ersten zehn Jahre meines Lebens habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie ich aussehe oder was andere von mir halten. Soweit ich mich erinnern kann. Von meiner Mutter habe ich gelernt, dass ich viel Vollkorn essen soll. Dass Zucker nicht so toll ist. Dass Obst und Gemüse frisch am besten für mich sind. Wir hatten einen kleinen Garten, Kartoffeln kamen vom Feld neben dem Haus und die Milch brachte ein Bauer zweimal die Woche in einem Kübel an die Haustüre. Ich lernte zu kochen und zu backen. Süßigkeiten gab es nur selten. Mir wurde niemals gesagt, dass ich sonst dick werde, sondern dass ich so stark und groß werde. Alles andere wäre auch lächerlich. Gegen Ende der Volksschule und mit Anfang des Gymnasium, wurden erstmals Mädchen interessant. Und das Körperbewusstsein veränderte sich. Ich habe erstmals Ablehnung erfahren und wie vermutlich viele Jugendliche meinen Körper gehasst. Ich fand mich unförmig und hässlich. Alle anderen sahen viel besser aus. Ich würde niemals glücklich werden. Dann lag ich auf dem Balkongeländer und hörte depressive Musik. Die Jahre vergingen und es veränderte sich wenig. Andere begannen „gingen“ mit jemanden und beendeten es wieder. Ich blieb alleine. Könnte auch daran liegen, dass ich es immer beim gleichen Mädchen versucht habe. Ich führte es nicht nur auf meinen Körper zurück, aber zu einem großen Teil. Mein Verhalten könnte ich doch ändern und so wollte ich immer wieder wissen, was andere denn von mir möchten. Wie ich mich richtig verhalte. Irgendwann versuchte ich abzunehmen. Funktionierte nicht wirklich. Dann ließ ich es wieder. Wirklich akzeptiert habe ich meinen Körper immer noch nicht, aber es wurde signifikant besser, als ich fühlte, dass Frau Wunderbar mich so liebte wie ich bin.

Schönheit.

Es wird oft reduziert. Man selbst sieht die Waage. Diese eine Zahl, die alles bedeutet. Zahlen machen vergleichbar. Das Gewicht ist Schwachsinn. Niemand interessiert sich dafür wie viel jemand wiegt, außer um zu vergleichen. Wenn man mit Freunden durch die Stadt geht, fallen einem möglicherweise Menschen auf, die man schön empfindet. Wenn man sich darüber unterhält, ist es schwer zu begründen, warum man die jeweilige Person schön findet. Es kommen allgemeine Begriffe, wie Figur, Kleidung, Stil, Gesicht oder ähnliches. Ich würde niemals sagen, weil die Person einen so tollen BMI hat oder weil sie so wenig wiegt. Manche Menschen finden dünn schön. Sehr wenige finden mager schön. Eigentlich niemand findet abgemagert schön. „Aber die Models“, höre ich jemanden sagen. „Framing“, sage ich. Models sowie berühmte Personen werden oft als schöner wahrgenommen. Doch zu schnell nimmt man sich den Faktor Gewicht heraus und schreibt die Schönheit, diesem einen Faktor zu. Models ohne dem Kontext, dass sie Models sind, ohne Schminke und ohne der passenden Kleidung werden nicht mehr so perfekt wahrgenommen, sondern als das was sie oft sind. Abgemagert. Berühmte Menschen werden von Menschen, die nicht wissen, dass sie berühmt sind, nicht als so schön wahrgenommen. In Magazinen sieht man Momentaufnahmen. Eines von hunderten Fotos. Das Ergebnis von stundenlanger Arbeit. Nachbearbeitet.

Dass ich wenig von Gewicht halte, sollte inzwischen klar sein. Selbst im Verhältnis zur Größe ist es für die Empfindung von Schönheit unwichtig. Nicht einmal der Umfang interessiert mich. Schönheit ist das Resultat einer Vielzahl an Faktoren und für jeden anders. Drei haben sich für mich als besonders wichtig herausgestellt. Wie eine Person spricht, wie sie sich bewegt und wie gesund sie aussieht. Andere würden das vielleicht unter dem Begriff Ausstrahlung zusammenfassen.

Es war mir früher nie bewusst, wie sehr ich auf die Stimme von Personen achte und dass dies essentiell ist, damit sie mir sympathisch ist. Dazu zählt alles mögliche. Von der Sprechgeschwindigkeit, über Höhen und Tiefen, Emotionalität, Dialekten bis hin zu den benutzten Worten. Die meisten werden jemanden kennen, über den sie sagen, dass er toll aussieht bis er den Mund aufmacht. Um überhaupt den Körper einer Person toll zu finden, muss ich die Stimme mögen. Es hilft nicht, wenn man noch so perfekte Maße hat, aber nicht schön sprechen kann. Vielleicht müsste man es allgemeiner als Sympathie beschreiben. Als Vorraussetzung und als intervenierender Faktor von Schönheit. Es verändert wie ich Menschen wahrnehme.

Zwischen Sprache und Bewegung ist Lippenbewegung und Gesichtsausdruck. Lese ich im Gesicht, was die Person sagt oder ist es starr und emotionslos? Wie bewegen sich die Lippen? Es sind Bewertungen, die unbewusst ablaufen. Ich schaffe es nicht alles auf den Ursprung zurück zu führen, sondern nur Hinweise zu finden. Es ist mir wichtig wie sich Menschen bewegen. Was genau relevant ist, kann ich nicht sagen. Das Gegenteil davon wie sich Menschen bewegen, die betrunken sind, trifft es recht gut. Wie greift man nach Dingen, verändert sich die Art der Bewegung aufgrund von Emotionen, ist man trittsicher oder stolpert man oft, geht man aufrecht oder gebückt, passen die Bewegungen zusammen? Noch ohne Bewertung, ob es positiv oder negativ ist. Models gehen über den Laufsteg, eine einstudierte Bewegung, die gute empfunden wird, wenn sie sie so ausführen, wie wir es erwarten. Ginge ich so spazieren, würden die Menschen mich eher für verrückt als schön halten. Ich mag selbstbewusste Menschen. Ich mag es aber auch, wenn jemand zeigt, dass er menschlich ist. Fassaden sind in Ordnung, aber dürfen nicht zwanghaft aufrecht gehalten werden. Wie sitzt jemand, wie setzt man sich hin und wie wieder auf? Sind es perfekte Bewegungsabläufe oder natürliche? Wirkt es angestrengt oder entspannt? Und wieder kommt es auf die Situation an.

Gesundheit ist ein tolle Begriff, um ihn in Schönheit zu verpacken. Es gibt zwar Ausnahmen, in denen ich Menschen, die alles andere als gesund sind, als schön empfinde, aber dies ist meist eine abstraktere Art von Ästhetik und hat mit dem Alltagsbegriff Schönheit nur noch wenig zu tun. Gesundheit drückt das breite Spektrum von Schönheit besser aus, als Schönheit selbst. Zugleich ist es mir wichtiger, dass ein Mensch fit ist, als dass er den perfekten Körperumfang hat. Jemand der nach ein paar Stufen außer Atem ist, ist nicht schön. Egal ob er außer Atem ist, weil er zu viel wiegt oder zu wenig Muskeln hat. Auch hier geht es Ausnahmen, die aber vor allem dadurch bestimmt sind, dass es andere Gründe für Atemlosigkeit gibt. Ich finde mehr Sport wichtiger als weniger essen. Wobei ich muskelbepackte Menschen nur selten als schön beschreibe. Es geht um einen gewissen Mittelweg, der für jeden anders ist. Gesundheit hat wenig mit dem reinen Gewicht zu tun. Auch nicht mit Form oder Größe. Guter Richtwert ist, wie fit man sich selbst fühlt. Und das ist überhaupt das wichtigste.

Wer schön sein möchte, muss man nicht, sollte sich nicht so sehr um den Körper kümmern, sondern vor allem um sich selbst. Man muss sich wohl fühlen, um schön zu sein. Dazu muss man einerseits in sich selbst gehen und sich bewusst werden, dass man ein toller Mensch ist und andererseits sich mit tollen Menschen umgeben, die einen toll finden, so wie man ist. Wie man spricht und sich bewegt wird so unterschiedlich wahrgenommen und empfunden, dass man sich gar nicht zu viele Gedanken darüber machen sollte. Manche Menschen, werden es schön finden, andere nicht. Das gleiche gilt für Kleidung und Körperform.

Ihr seid toll. Hört endlich auf euch Sorgen zu machen.

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5 Kommentare

  1. der mann den ich liebe hat auf mein liebesgeständnis nach einer längeren pause gesagt „…und fett bin ich auch“.
    wer sich selbst nicht mag kann nicht geliebt werden weil er es selbst nicht zulässt.
    gut dass du es kannst, damit bist du am allerbesten weg :)

    ich höre jeden tag wie schlank und schön ich nicht sei. eine kollegin meinte unlängst sie traut sich in meiner gegenwart nicht essen weil sie dann unersättlich und fett wirken würde.
    sie ist weit über 40.

    ich denke mir, man hat doch kaum wahl. sicher hilft sport, sicher hilft gesünder leben. aber die biologische veranlagung kann man, auf dauer, nicht austricksen.
    daher sollte man doch mal akzeptieren wie man ist.
    ich bin schlank. und hübsch. dafür habe ich ganz raue, rotpustelige haut. aber meine freunde mögen das. so wie meine schiefe nase. das macht mich einzigartig.

    mein freund hatte breite schultern und muskulöse oberarme- und einen gaaaaanz weichen bauch. bindehautstörung. aber, ach was hab ich diesen kontrast geliebt.

    richtig. wir sind toll. also bitte: aufhören mit dem ewigen hadern.

  2. Interessanter Artikel, für mich außergewöhnlich, vor allem weil er von einem Mann geschrieben ist.
    Ich kenne das Thema vor allem von Frauen. Auch von mir selbst. Dass auch Männer Probleme mit dem Gewicht haben und das Gefühl nicht schön zu sein kennen, liest man eher selten. Daher: Großartig!
    Für mich sind vor allem Menschen schön, die Lebenslust und Lebendigkeit besitzen, sowie innere und äußere Beweglichkeit und Bewegung. Jemand der oder die sich nur mit der Frage „Bin ich eh dünn genug“ beschäftigt, verpasst das Leben. Ich bin selbst gewichtsmässig eine Pendlerin, mal bin ich oben, dann wieder unten. Das hat mich viele Jahre gestresst. Bis ich irgendwann feststellte, daß ich mich IMMER dick fühle, ob ich jetzt schlank bin oder dick. Und ich hab mich umgesehen, andere Frauen gefragt und siehe da: Sie fühlen sich alle dick, sogar jene die superschlank sind. Aber ist das nicht Wahnsinn!!!!
    Ich hab angefangen mich auf mein Leben zu konzentrieren und die Waage abzuschaffen. Seitdem höre ich nach innen, frag den Körper was er haben will und bin sehr zufrieden. Ich erlaube mir Germknödel und Schweinsbraten, wenn mir danach ist. Und seit ich mir erlaube zu essen was ich essen will….brauch ich vieles nicht mehr zu essen :-) Heisshunger kenn ich nicht mehr.
    daher: danke für den artikel. und ich schliesse mich an: wir sind alle toll :-)

  3. also, das gewicht ist nicht der faktor, aber mobilität bzw. sportlichkeit finde ich schon ästhetisch, statt keuchen und schwitzen, wenn man einmal etwas bergauf gehen muss. du hast den faktor sport ausser acht gelassen, damit meine ich nicht ausdauersport, sondern beweglichkeit und kraft. man sollte schon eins mit seinem körper werden und das ganze nicht trennen, sowie du es in diesem artikel tust. körper und geist gehören zusammen, da führt kein weg daran vorbei. ob jetzt ein wamperl oder nicht ist komplett egal, aber so wie ich den geist nicht vernachlässige oder ihm gutes tue (mit einem buch, musik oder gesprächen..) so sollte das auch mit dem körper sein. hochwertiges essen und bewegung bzw. sport gehören einfach zu einem aktiven alltag dazu.

    1. «Zugleich ist es mir wichtiger, dass ein Mensch fit ist, als dass er den perfekten Körperumfang hat.»

      Ich habe den Sport Aspekt in Gesundheit gepackt.

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