Der Gedanke durch die Nacht

Ich lege mich zurück. Die Musik umspielt meine Ohren. Rap. Deutscher Rap. Was ihr wohl denkt. Wo ich euch das letzte Mal mit Eminem versucht habe zu schocken. Das nächste Mal kommt Melodic Metal oder auch Screamo. Das ist nicht Abstand. Es ist Nähe. Ob ihr es auch so empfindet weiß ich nicht. Ich genieße es, Buchstaben fallen zu lassen. Irgendwo im Internet. Natürlich wisst ihr wer ich bin. Und wenn nicht jetzt, dann später. Selbst wenn ihr niemals meinen Namen erfahren würdet, wer ich bin wüsstet ihr. Meine Gefühle, Ängste und Wünsche. Zart verpackt in Worte. Brutal in Form gehämmert. Es gibt immer etwas zu erzählen.

Mein Leben, das Chaos. Geordnet und kontrolliert. Es erscheint mit lächerlich, fantastisch, beneidenswert, fürchterlich, traumhaft. Ich kuschle mich hinein. In dieses Gefüge von Ereignissen. Sie bestimmen mich und ich sie. Ich glaube nicht an Schicksal und Vorbestimmung nur in dem Ausmaß, dass vergangene eigene Handlungen und die von anderen einen Teil unserer Gegenwart bestimmen. Niemals möchte ich sagen, warum gerade mir etwas passiert. Diese Phase habe ich hinter mir. Vielleicht hat dies jeder irgendwann. Bei manchen bleibt sie, bei manchen kommt sie erst spät oder dauert nur Sekunden.

Den Player nochmal zum Start. Wann habe ich wohl das letzte Album gekauft? Ich glaube es war ein Geschenk. Irgendwann im letzten Jahr. Oder noch früher? Nein, letztes Frühjahr. Ein Soundtrack. Erinnerungen. Will ich sie oder nicht? Schön und zerstörerisch. Noch bin ich nicht bereit. In ein paar Tagen, Jahren, nie. Ist auch nicht so wichtig. Bestimmt nur mein Leben. Oder hat es für eine bestimmte Zeit. Jetzt muss ich selbst schauen wie es weitergeht. Ich kann mich nicht um zig andere kümmern. Sie müssen selbst heraus finden was besser ist, was sie brauchen und was nicht. Ich traue ihnen vieles zu.

Meine Ziele sind hoch, meine Träume etwas darunter. Ich will Menschen treffen. Ich will lernen. Ich will leben. Ich will. Doch darum geht es. Nicht. Oder doch? Keine weiter Grundsatzdiskussion. Nicht heute. Ich weiß doch, dass ich zu keinem Ende komme. Jeder ist seines Glückes Schmied ist falsch. Der Sinn des Lebens ist deinem Leben einen Sinn zu geben, hat sich vermutlich jemand auf dem Klo ausgedacht. Klar klingt es nett, aber es beantwortet rein gar nichts. Gleich wie bei den meisten dieser Weisheiten. Sonst wären sie wohl keine. Sie müssen allgemeingültig bleiben. Das ist zugleich ihr Todesurteil. Ratgeber geben keinen Rat, lediglich Hinweise. Du musst dein Leben selbst in den Griff bekommen. Komme mir vor wie in einer Schleife. Das Leben. Vielleicht. Nein.

Die nächsten Wochen werden mich näher bringen. Ãœber das Ziel hinausschießen. Das muss ich wollen. Das will ich. Jetzt fehlt nur noch das Jetzt. Die Energie aus der Zukunft herüberbringen. Ein Unterfangen das im Kopf stattfindet, wie so vieles anderes auch. Es sind nur noch Sekunden, die ich überwinden muss. Wenn ich drinnen bin, funktioniert es. Dann bleibe ich dran. Manchmal werde ich heraus gerissen, aber wieder rein zu kommen ist einfacher, als neu anzufangen.

Ungefiltert. Das ist der richtige Ausdruck. Bald habe ich am Ende jeden Beitrags das Verlangen euch zu danken. Einfach weil ihr da seid.

Querfeldein

Tränen laufen über mein Gesicht.

Eine neue Nacht, ein neuer Untergang. Was sein hätte können. Scheiß Gedanken. Es ist nicht. Es hat nicht sein sollen. Was auch immer. Das Leben ist schön. Nicht für mich. Ich klammere mich an alle Träume. Längst vergangen. Loslassen. Das kann ich nicht. Ich stolpere über meine eigene Unfähigkeit.

Ein Scheinwerfer erfasst mich, blendet, macht mich blind. Dann wieder Schwärze. Einsamkeit. Ich habe mich entschlossen zu gehen. Von der Party. Meine Füße fühlen sich leicht an. Ich gehe schneller. Neben mir die Straße. Nass vom Regen. Ich weiß nicht wo ich bin. Will es nicht wissen. Nur weg.

Sie war nicht einmal hier. Sie war nicht einmal hier. Kein Versprechen. Stumme Vereinbarung. Einseitig? Mein Fehler. In mich selbst gekehrt. Zerstört. Wäre es wieder früher. Man kann die Zeit nicht zurück drehen. Ich will nicht gehen. Aus dem Leben. Das haben sie nicht verdient. Nicht so plötzlich. Nicht bewusst. Oder doch?

Meine Schritte werden schneller. Das Wasser spritzt. Ich will mich fallen lassen. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Es ist eine andere Welt. Nicht die meine. Wie bin ich hier hergekommen. Meine Füße sind nass. Es ist mir egal. Alles egal. Mit jeden Schritt pralle ich auf. Da vorne steht etwas.

Noch zwanzig Kilometer. Was habe ich mir dabei gedacht. Nicht gedacht. Mir fehlt jegliche Rationalität. Sie fehlt mir. Die Gedanken. Gegangen. Aus meinem Leben. Verschwunden ohne sich zu verabschieden. Einen Haufen Bruchstücke hinter sich gelassen. Mittendrin. Kein Recht auf gar nichts. Mein Fehler. Meine Schuld.

Verdrängen. Verarbeiten. Irgendetwas. Nein, ich laufe weg. Laufe mit. Kann nicht. Ein Auto, quietschende Reifen. Kälte. Auf der Straße ein roter Fleck. Der leblose Körper auf der Gegenfahrbahn. Ich ignoriere. Renne.

Kein Gesicht. Nichts. Meine Erinnerung ist ausgelöscht. Kein Platz für neues. Ein großer weißer Fleck. Mitten in mir. Ich verbrenne mich. Verschwommen. Kälte. Glühende Kälte.

Noch neunzehn Kilometer. Der Straßengraben lacht mich an. Ich lache zurück. Schreie. Meine Beine mit mir. Wohin sie mich tragen? Mein Ziel? Ich habe keines. Nicht mehr. Einschlafen. Irgendwo. Der Regen soll mich wegspülen. Keine Kontrolle. Wahnsinn.

Kurz komme ich zurück. Stelle mir weiße Westen vor. Die Ärmel nach hinten verknotet. Man müsste mich erst einmal erwischen. Nicht einfach. Wenn die Jagd beginnt, lasse ich mich schließlich fallen. Kein Gedanke mehr an die anderen, an das danach. Wer es war? Wer mich gemeldet hat? Ein kleiner Besuch. Mitten in der Nacht. Schock. Teuflisches Lachen. Ein wenig Zerstörung. Verschunden bevor es vorbei ist.

Der Fußweg ist zu Ende. Straße oder Feld. Quer drüber. Die Schilder sind egal. Mein Kopf hat eine Richtung. Die Augen schließen. Blind weiter.

Bunte Hüllen

Ich bin verletzlich. Sehr sogar. Doch man merkt es nicht, wenn man einen Treffer landet. Ich breche nicht in Tränen aus und renne aus dem Zimmer. Vielleicht werde ich ruhiger, vielleicht nicht einmal das.

Eine Mauer, die mich schützen soll. Sie umgibt mich und wird nach jedem Angriff verstärkt. Sie ist nicht so massiv, wie man es erwarten würde. Es gibt Löcher, durch die man hineinblicken kann. Sogar Türen, die ich manchmal einen Spalt öffne, um sie meist sogleich wieder zuzuschlagen.

Gerne würde ich jemanden einladen, herumführen und dann gemeinsam einen Tee trinken. Doch ich schaffe es nicht. Zu hoch die Sicherheitsbestimmungen. Ständige Enttäuschungen. Von anderen, von mir selbst. Es sollte mir egal sein. Ich habe kein Recht auf eine andere Behandlung. Die Angst basiert auf dem Wertesystem unserer Welt. Dinge, die man nicht preis gibt, die man nicht macht, nicht einmal denkt. Doch es tun alle. Zumindest denken sie es. Ein Skandal, wenn es bekannt wird. Aufgesetztes entsetzen.

Es gibt noch andere Dinge. Persönliches. Man will nicht, dass es die Runde macht. Auch nicht bei den besten Freunden, der Person, der man Einblick gewährt. Es zerstört das Bild, das man erzeugt hat. Lässt den Schutz bröckeln. Man gibt den Schlüssel nicht so einfach aus der Hand. Doch jeder Mensch, der einmal da war, kann wiederkommen. Das Sicherheitssystem erkennt ihn nicht. Wahrscheinlich sieht er nur die alte Version des Inneren, doch er kann jeden mitnehmen.

Totale Ehrlichkeit ist eine Lüge. Es funktioniert einfach nicht. Die Welt lässt es nicht zu und ich will es auch nicht. Ich muss mich nicht jeden öffnen. Ich genieße es Bilder von mir in die Köpfe von ihnen zu zaubern. Es wird immer leichter, je öfter man es macht. Ich habe verschieden Vorlagen kreiert, die ich individuell anpassen kann. Je nachdem wozu ich Lust habe oder was ich brauche. Das Grundgerüst ist Wahrheit, doch die Verzierungen austauschbar wie Handyschalen.

Flugstunden

Du kennst mich nicht und das ist gut so. Ich will dich nicht verletzen. Es ist schon viel zu viel passiert, als dass du auch noch das ertragen müsstest. Du hast ein Bild von mir. Du hast es dir selbst gemacht. Ich will es aufrecht halten. Für dich.

Zu einer Zeit, als wir uns noch nicht kannten, hast du doch leer gefühlt. Diese Leere konnte ich füllen. Für eine Kurze Zeit. Dann kam sie zurück. Ich bin nicht der, für den du mich hältst und ich kann nicht immer für dich da sein. Ich weiß was du brauchst und ich weiß, dass ich dir das nicht geben kann. Ich bin stark genug, aber nicht in der Lage es mir selbst einzugestehen. Ich will mich nicht für dich aufopfern. Das Leben ist nicht immer leicht. Ich kann helfen, aber ich will nicht mehr. Wunden versorgen, Wunderheiler sein.

Es tut mir Leid.

Bevor du aufgibst, melde dich. Doch bis dahin musst du selbst schauen, wie du weiter kommst. Ich gehe. Noch heute Nacht. Kein Abschied. Das würde dir nicht gut tun. Du könntest die Wahrheit nicht ertragen. Doch meine Nummer liegt auf deinem Tisch. Du weißt wie du mich erreichst. Ich werde da sein. Aber teste mich nicht. Dafür habe ich keine Zeit.

Als wir uns kennen lernten, warst du eine gebrochene Feder. Nicht mehr. So zart. So hilflos. Ich konnte dich nicht liegen lassen. In dieser Nacht, wo niemand mehr klar denken konnte. Vollkommen vernebelt und den Kopf ertränkt. Auf dem Weg hinaus. Da warst du. Alleine. Unbeachtet. Ein paar Schritte weiter der Abgrund.

Schau dich an. Du kannst stehen. Breite die Flügel aus und flieg. Ich werde dich fangen, wenn du stürzt. Kurz vor dem Aufprall. Nicht früher.

Ich will wieder leben. Für mich leben. Genießen. All die Schönheit. Die wunderbaren Momente. Du ziehst mich hinunter. Ich kann nicht mehr an Höhe gewinnen, doch genau das ist es was ich jetzt brauche. Höhenluft. Der Blick in die Ferne. Ich will über die Wolken. Ich will die Sonne spüren und einfach sein.

Dazwischen das Licht. Es verbindet uns.

Trau dich.

Wintertanz 2

Für ein paar Sekunden lass ich meinen Blick schweifen. Dann suche ich sie wieder. Ohne Erfolg.

Verschwunden. Vielleicht ist sie gegangen. Hat sich etwas zu trinken geholt, frische Luft schnappen, aufs Klo, eine Freundin holen, eine Zigarette Rauchen, schminken, Geld abheben, sich ausruhen, die Beine massieren, Fingernägel lackieren, Schuhe putzen, essen, Nase schneuzen, umziehen, einen Musikwunsch äußern.

Sie ist weg. Schon seit Stunden. Warum ist sie noch da? Was hat sie mit meinen Bildern gemacht. Noch immer fröhlich tanzend wirbelt sie sie herum, verwischt sie und verschwindet selbst. Da ist sie wieder. Wäre es später, hätte ich, wäre ich alleine, wäre ich, hätte ich mich anders verhalten. Nein. Sie war es nicht. Ich weiß es. Rede es mir nicht nur ein. Der Moment hätte gereicht. Ein Augenblick um zu wissen was man will. Nicht rational abwiegen, was wichtig ist. Nicht darüber nachdenken. Einfach sein. Morgen spielt keine Rolle. Sie war es nicht.

Die Tanzfläche hat sich geleert. Meine Freunde warten auf einem Sofa. Nuckeln an ihren Getränken. Mir wird kalt. Ich spüre den Schweiß auf meiner Stirn. Auf meinem Rücken. Eisig. Ein Luftzug. Das Licht geht an. Ein kurzes Murren der anderen. Ich schaue zum DJ, er schüttelt lächelnd den Kopf. Ich kann ihm nicht böse sein. Eine Stunde mehr spielt keine Rolle. Irgendwann kommt die Kälte. Zieht mich zurück ins Leben. Ein Freund bringt mir schon meine Jacke. Ich wusste nicht einmal, dass ich eine an hatte. Ist auch nicht meine. Ich schaue ihn an. Er ist verwirrt, dreht sich wieder um, legt die Jacke zurück.

Wir sind die letzten. Mein Shirt ist schon wieder trocken. Als wir die Treppe raufgehen, werde ich gefragt ob ich sie noch heimbringen könnte. Natürlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals alleine heimgefahren bin und die anderen stehen habe lassen. Zehn Minuten bräuchte ich. Fünfundvierzig werde ich brauchen. Mindestens. Quer durch die ganze Stadt. Es ist mein stummer Ausdruck, dass sie mir etwas bedeuten. Es fällt mir schwer so etwas auszusprechen. Fürchte mich vor den Reaktionen. Egal ob sie positiv oder negativ wären.

Ich schiebe eine CD in das Autoradio. Song 2 von Blur. Danach kommen Gorillaz und Green Day. Sie schreien ein paar Stellen mit. Der Alkohol hat sie voll im Griff. Ich werde ruhiger. Konzentriere mich auf die Straße und beginne Szenarien durchzugehen. Diese sind so weit weg, wie der nächste Baum.

Der letzte ist ausgestiegen, hat sich noch einmal bedankt und eilig die Haustür hinter sich geschlossen. Ich rolle langsam den Berg hinunter. Dann geht es über die Autobahn heim. Der Himmel ist schon blau. Aus den Boxen dröhnt Juli.

Zugfahrt im Februarsommer

Auf meinem Schoß ein paar Notizzettel, mein Block, der Laptop, Unter der Sonne und B:Seite.

Mit einem schwarzen Kuli versuche ich ein paar Gedanken zu bändigen. Vorsichtig ausgewählt und anschließend auf Papier gebannt. Dort werden sie ruhen. Bis ich sie irgendwann wieder hervorhole. Dann tippe ich sie ab, schicke sie hinaus in die Welt. So dass sie in anderen Köpfen wieder zum Leben erwachen.

Der Platz mir gegenüber ist frei. Links davon sitzt eine ältere Dame. Sie liest Zeitung und lutscht Bonbons. Jeden einzelnen Artikel. Von der ersten bis zur letzten Seite. Auch die Werbung. Ihr Finger fährt auf der Zeitung mit. Nur manchmal huscht er in die Tasche, um mit einem weiteren Bonbon zurückzukommen. Eilig steckt sie es sich in den Mund.

Draußen scheint die Sonne. An wenigen Stellen noch Ãœberreste des Winters. Weiß-graue Flecken erzählen keine Geschichten. Sie liegen an ihren schattigen Plätzen und warten auf die Wärme. Ein verkümmertes Dasein, dessen Ende unausweichlich ist.

Der Herr neben mir liest ein Buch über Lungenkrebs. Manchmal beobachte ich ihn aus dem Augenwinkel. Er trägt eine Brille. Einen jugendlichen Pullover und eine Levis-Jean. Seine Schuhe sehe ich nicht. An der Wand hängt eine orange Jacke. Das Kapitel heißt Familie. Was in seinem Kopf vor sich geht? Vielleicht denkt er an seine zwölfjährige Tochter. Oder an seine Frau, die mit der Krankheit nicht fertig wurde und ihn verlassen hat. Gibt es in seinem Leben etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt? Gibt es das in irgendeinem Leben? Wie fühlt sich das an?

Ein weiteres Bonbon verschwindet. Gerade haben wir die Grenze überfahren. Das teilt mir zumindest die Nachricht auf meinem Handydisplay mit.

Ich schlage Unter der Sonne auf. Schnee. Die letzte Geschichte beginnt auf Seite 103. Gestern habe ich auf Stellplatz 13 geparkt.

Woher Kehlmann all die Namen nimmt. Ich mag Namen nicht. Nicht in meinen Texten. Sie verleiten zu Interpretationen, die nichts mit der Geschichte zu tun haben. Namen sind nur Schall und Rauch. Ohne Namen fällt es schwer mit mehreren Akteuren zu arbeiten. Ohne geht es nicht. Man muss sie nehmen. Gut überlegt oder spontan.

„Er war noch nie so glücklich gewesen.“ Ein Satz der das Leben bejaht. Danach schreit und Verzweiflung zeigt. Alle arbeiten darauf hin. Es ist nicht real.

Schauplatzwechsel. Das ist der Unterschied.

Die Frau ist gegangen. Er liest ein neues Buch. Leben! Auf der Rückseite steht: Diagnose sechs Wochen. Ich muss schlucken.

Rechts von mir packt jemand eine Kantwurst aus. Ãœbergewichtig. Vielleicht dreißig Jahre. Er stopft sie hastig in sich hinein. Keine Beilage. Nur Kantwurst. Nach vier Bissen ist sie weg.

Der Kuli hinterlässt einen Punkt auf der Rückseite meines Daumens. Ich war unaufmerksam. Durch die verdunkelten Scheiben im Waggon sehe ich eine Frau. Nicht viel jünger als ich. Unsere Blicke treffen sich. Ich weiche aus. Wann habe ich das letzte Mal zurückgelächelt? Eine zweite Kantwurst verschwindet. Er ruft seinen Freund an. Auf seiner Stirn haben sich Schweißperlen gebildet. Vielleicht ist es auch Fett, das aus den Poren quillt. Fußball heute Abend. Sicher nicht spielen. Auf seinem T-Shirt im Armylook steht es. Rapid Wien – Kämpft und siegt seit 1899. Er besiegt noch eine Kantwurst. Kampflos. Nun legt der den Kopf seitlich nach hinten. Als ob er ihn nicht mehr tragen könnte. Dabei ist nicht einmal ein Hals vorhanden.

B:Seite zieht mich weg. Der Zug und die Reisenden verschwinden. Ich lasse mich fallen. Sinken. Mitreißen.

Wintertanz 1

Die Häuser ziehen an mir vorbei. Wie im Fernsehen. Nur ohne Regen.

Ich bringe noch ein paar Freunde heim. Wieder einmal bin ich es, der mit dem Auto unterwegs ist. Ein silberner Golf Kombi. Vom Straßenstaub verdreckt und hinter den Reifen Schlammspritzer. Wir waren im Club. Zuvor im Pub.

Sie haben vom Zivildienst erzählt. Ich war geschockt. Nicht von den Dingen, die sie erlebt haben, sondern wie sie es erzählt haben. Ich verstehe nicht, wie es toll sein kann, wenn man eine Ranimation hat. Wie man hoffen kann, dass das Herz doch noch aussetzt. Wie man freiwillig eine zusätzliche Woche arbeitet. Wie man lachen kann, wenn man erzählt, dass ein Polizist einem festgebundenen Afrikaner im Krankenwagen ins Gesicht schlägt. Wie man es gut finden kann, dass man Stunden nachdem man selbst ins Bett gekotzt hat, einem Patienten bei selbigem zusieht. Ich bin mit gesenktem Blick da gesessen und habe versucht sie nicht anzuschreien.

Später sind wir weitergegangen. Raus aus dem verrauchten Pub. Ein bisschen frische Luft. Ich bin mit dem Auto zum Club gefahren. Der Türsteher war neu. Probleme gab es nicht.

Es hätte eine Band spielen sollen. 1984. Angeblich gab es einen Autounfall. Sie spielten nicht. Stattdessen gab es einen DJ. Reichte uns auch. Britpop und so. Später auch anderes. Wir blieben bis nach drei.

Bewegung im Takt der Musik. Im Kopf Club of Scheiße Tanzen. Hin und wieder schließe ich die Augen und genieße. Ich fühlte mich beinahe wohl. Hin und wieder blitzen Augen auf, die ich anlächelte. Manchmal kam etwas zurück manchmal nicht. Es ist nicht so, dass ich zwanghaft versuche jemanden kennen zu lernen. Noch nicht.

Durch meine Gehirnwindungen schießen andauernd Erinnerungen. Drei Personen. Momentaufnahmen. Traumbilder. Von mir idealisiert und abgespeichert. Das ist nicht das Leben. Das ist Hoffnung. Wieso komme ich nicht los?

Ich werde angelächelt, doch vor meinen Augen tanzen Bilder aus vergangenen Tagen.

Wegschieben. Alles. Nur noch die Menge. Die Musik. Die Bewegung. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich sie. Sie erinnert mich an niemanden. Ist einfach da. Alleine durch die Menge. Freude im Gesicht. Sucht sie jemanden? Jemanden bestimmten? Ich kann es nicht sagen. Meine Augen folgen ihr.

Sie treffen sich. Die Augen. Meine mit den ihren.

Sommertag

Zart schneidet die Klinge durch das Fleisch. Ein paar Tropfen spritzen auf den Tisch.

Ich habe mir vorgenommen mehr Gemüse zu essen. Ein saftiger Salat. Mit viel Paprika. Es erinnert mich an letztes Jahr. Als ich mit ihr im Garten stand. Wir haben geredet. Nur geredet. Doch das war mehr als ich mir je erwartet hatte.

Es war Abend. Die untergehende Sonne. Das Gras grün, der Himmel blau. Eine angenehme Wärme.

Werden wir uns wiedersehen?

Ihre Hand hielt die meine. Mit gesenktem Blick schüttelte sie den Kopf.

Nur ein paar Stunden, die mein Leben verändert haben. Man darf nicht zu sehr planen. Man muss sich auch auf Dinge einlassen, von denen man weiß, dass sie nicht von Dauer sind. Menschen haben Angst vor der Zukunft. Ich auch, doch ich lasse nicht zu, dass dieses Gefühl die Ãœberhand gewinnt.

Ich nickte, zog sie zu mir und legte meine Arme um ihren Körper. Eine Träne tropfte auf ihre Schulter.

So soll es also enden. Nur Stunden nachdem es begonnen hat. Noch Monate später, werde ich an diesen einen Tag denken. Mitten im Sommer. Als ich wieder gelernt hatte was es heißt zu leben. Der Tag an dem ich eine Frau küsste, deren Namen ich nicht kannte. An dem ich wegfahren wollte, um ein neues Leben zu beginnen. Eine Schlussstrich ziehen.

Man kann nicht einfach abhauen. So etwas muss geplant werden und dann bekommt man Angst. Es ist besser, wenn man sich überlegt was man sich von diesem neuem Leben erwartet und versucht es in das aktuelle einzuflechten. Eine ewig andauernde Entwicklung. Seinen Träumen nacheifern. Träume, die man nicht erreichen kann.

Als ich sie zum Bahnhof gebracht habe, hat sie mir ihren Vornamen gesagt. Ein Lächeln bevor sie im Waggon verschwindet.

Einen Schuss Essig in den Salat. Und eine handvoll Käse. Es fehlt noch etwas Salz.