Leidensglück

Eigentlich kann das alles gar nicht sein. Ich sitze auf dem Sofa mit meiner Frau und unserem Kind. Etwas links über der Mitte Deutschlands. Vor mir ein großer Fernseher. Standboxen. Mein Lederklappstuhl, der mich seit Wien begleitet. Ein Stubenwagen. Auf dem Tisch unter einer Glaskuppel ein Kuchen. Durch das Fenster sieht man ein Vogelhäuschen. Wir haben einen Garten und fahren einen weißen Neuwagen.

Das Kind schreit.

Eigentlich sollte alles drüber und drunter gehen. Stattdessen fühlt es sich nach Stillstand an. Das Kind lässt sich jeden Tag etwas neues einfallen. Besonders das Lachen hat es mir angetan. Aber ich stecke fest. Der letzte txt ist zwei Monate her und kein Meisterwerk. Ich freue mich jeden Tag, aber es fehlt etwas. Die Bühnen? Die Trauer? Das Suchen? Das Schreien? Das Laufen? In meinen Kopf schweben die Momente der letzten Jahre. Immer weiter weg die Container, in denen ich die letzten Schuljahre verbracht habe. Die Europareise, die viel zu kurz war und der Aufbruch nach Wien. Studium, Veranstaltungen und viele neue Menschen. Vor Ort und weiter weg. Zwei Wohngemeinschaften. Der erste Sommer bei ihr. Immer wieder Abschiede. Endlich zusammenziehen. Der Abschluss, der noch drei Prüfungen und eine Arbeit gebraucht hätte. Viele Spaziergänge. Noch mehr Sex. Auf dem Balkon liegen und die Augen schließen. Ein gutes Ende für einen Film.

Das Kind schreit.

Frau Fragmente hat mir geschrieben, dass wir uns mehrere Leben vorstellen, aber nur eines leben können. Das sieht der Kopf möglicherweise nicht ein. Und ist unzufrieden. Jawl schickte mich nach Münster und ich kam mit einem weiteren Puzzlestück zurück. Placetogo tauschte mit mir Pokemon.

Das Kind wird durch die Wohnung getragen.

Schreiben besteht auch aus stundenlang den Bildschirm anstarren und Wörter im Kopf zusammenstecken um sie doch wieder voller Wut gegen die Wand zu werfen. Ständige Sorge um die Grammatik, während man sich jegliche Freiheit nimmt. Zugleich wissen, dass es nahezu unmöglich ist viel zu bewegen und zugleich, dass man etwas kleines bewegen muss, damit nicht alles stehen bleibt. Sicherheit macht es nicht besser. Aus den Kopfhörern keine Erlösung. Das Ziel ist unbekannt und ich weiß nicht auf welcher Reise ich mich befinde. Nicht so überzeugt wie ich sein sollte. Spannungsabfall. Anscheinend schreibe ich manchmal Dinge, die andere Menschen gut finden. Aber reicht das? Ich weiß nicht wo ich hin möchte.

Ich bin alleine.

Abends Tabletten, damit ich schlafen kann und mich am nächsten Tag nicht am Boden wälzen. Sie verhindern, dass mein Körper bei jeder Aufregung Blasen schlägt. Morgens Tabletten, damit ich nicht ganz einklappe. Sie machen mich aggressiv und meine Motivation schwankt stark. Spielt sich noch ein. Zumindest meint das meine Ärztin. Das erste graue Haar. Auf der linken Schläfe. Leicht abstehend, damit ich es nicht übersehe. Passender Zeitpunkt für Midlifecrisis. Aber kein Geld für dumme Abenteuer. Ich ignoriere das Leben.

Nie war ich so glücklich.
Und so unzufrieden mit mir selbst.

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1 Kommentar

  1. Dein Leben ist aufregender als meins bisher gewesen ist, aber vielleicht geht Dir der Stillstand deswegen viel schneller als mir auf den Senkel. Die erste Zeit als Hausmann war klasse, genug Geld, ein problemloses und goldiges Kind. Beim 2. Kind war der Lack dann ab.

    Ein rein praktischer Ratschlag von mir: Guck, daß Du viele Spilkameraden für Dein Kind findest und in eine Behausung ziehst, wo das Kind bald unbeaufsichtigt was machen kann: Garten, Sackgasse, schöner Spielplatz mit anderen Kindern. Mit Kind eingesperrt in der Wohnung ist gefährlich für das Gemüt, bei mir zumindest (und gefährlich für niemanden sonst, um nicht als psychopathisch zu gelten). 2 Kinder sind einfacher und weniger beschäftigungsintensiv in der Wohnung zu handhaben als ein einziges.

    Da Du schon mehr im Leben erlebt hast als ich Zimmerpflanze gebe ich keine weiteren Tipps, außer auf Dich zu achten. Ich gehe in eine Tagesklinik, um weiterzukommen.

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