Hast du ein Vorbild?

Die Lichter der Stadt vor meinem Fenster. Ich setze mich in den großen Sessel und beginne zu zittern. Es kalt im Zimmer, den Mantel habe ich im Restaurant vergessen. Sehnsüchtig blicke ich zur Decke auf dem großen Bett. Es wird sich erst kalt anfühlen, etwas hart. Dann, nach ein paar Umdrehungen beginnt sich der Stoff an den Körper zu gewöhnen, saugt seine Wärme auf und speichert sie. Ich werde die Decke bis unters Kinn ziehen. Auf keinen Fall darf sie den Luftstrom meiner Nase verdecken. Ich brauche das Gefühl frei atmen zu können. Eine Angst deren Herkunft ich nicht kenne. Mein Vater ist in seiner Jugend beinahe ertrunken. Doch er hat mir erst spät davon erzählt. Ein Blick auf die Uhr. Kurz nach zwei. Es ist ein Bericht zu schreiben. Viel lieber würde ich meine Mails abrufen. Ob eine Nachricht von ihr da ist. Ein kleines Zeichen ihres Wohlbefinden. Das muss warten.

Der Kunde ist nicht bereit den Vertrag zu verlängern. Heutzutage sei so etwas nicht mehr nötig. Es würde gar das Geschäft schädigen, würde man solche Verpflichtungen eingehen. Ich starre an ihm vorbei, habe schon abgeschlossen. Er ist weder spannend, noch besonders wichtig. Das Treffen fühlt sich mehr wie ein Schrei nach Aufmerksamkeit an. Ich kritzle ein paar Worte in mein Notizbuch. Über das Leben, das meine und das der anderen. Ein junger Mann betritt das Büro, er wirkt nervös, sucht eine Frau. Mein Kopf beginnt zu zaubern. Wie er hunderte Kilometer gefahren ist, auf der Suche nach ihr. Sie haben sich auf einer Konferenz kennen gelernt. Eher einem Festival. Doch dann hat er ihre Nummer verloren. Nur der Name und die Firma. Mithilfe des Internets nicht schwer mehr über jemanden heraus zu finden. Doch warum hat er ihr keine Email geschrieben, nicht angerufen. Er soll einen Brief abholen. Ein Fahrradkurier. Ich konzentriere mich wieder auf meinen Gesprächspartner, der noch immer über die Konditionen spricht. Früher habe ich mir ausgemalt, wie es wäre einfach aufzustehen, ihm sagen, dass das keinen Spaß macht und zu gehen. Doch ich bin müde geworden. Müde in Frage zu stellen, müde mit den Menschen zu spielen, müde mich selbst zu suchen. Selbstfindungstrips sind mir sowieso suspekt. Wie ein Hund, der den eigenen Schwanz jagt. Wir müssen uns nicht jeden Tag neu erfinden. Für später bin ich zum Essen verabredet. Ein guter Freund, den ich schon zu lange nicht mehr gesehen habe.

Wir reden über die Arbeit, über früher. Erinnerungen an die gemeinsame Studienzeit. Das wilde Leben. Manchmal trauern wir ihm nach, manchmal holen wir es zurück. Die Nacht im Club verbringen. Doch die Leute bleiben jung, während wir älter werden. Im Morgengrauen durch die Stadt spazieren, philosophieren. Ich erzähle ihm von der Frau, die immer geschrieben hat und es noch heute tut. Er will sie seit der ersten Erwähnung kennen lernen, doch ich weiß selbst nicht wer sie ist. Nur ein Bild und die Texte. Ich bin fasziniert von den Worten. Noch immer. Sie können so viel tun. Man muss nicht alles machen, wenn man es auch lesen kann. Er schüttelt den Kopf und nennt mich radikal. Ich muss grinsen. Oder der Autor, der mehrere Preise gewonnen hat, aber dann von niemanden mehr beachtet wurde, obwohl seine Geschichten immer besser wurden. Irgendwas mit Eishockey. Aufmerksamkeit. Begrenzte Zeit. Frage der Einteilung, der Gewichtung.

Ich brauche die Musik zum arbeiten, zum schreiben, zum entspannen. Die Kopfhörer passen nicht zum Anzug wird mir gesagt, wenn man mich so sieht. Aber der Bericht ist fertig und ich rufe die Mails ab. Eines ist von ihr. Ich schließe kurz die Augen und spüre die Freude in mir. Es geht ihr gut, eine entspannte Woche und übers Wochenende wird sie mit einem Freund zu einem Konzert fahren. Es ist schade, dass ich nicht dabei sein könne, aber wir sehen uns die Woche drauf. Sie hat sich extra zwei Tage frei genommen. Die Zeilen tun gut. Ich antworte, erzähle von meinem Tag, den Fahrradkurier und dem Abendessen. Ein bisschen wie Tagebuchschreiben. Ich klicke mich durch ein paar Blogs.

Ohne es zu planen habe ich ein paar Brieffreundschaften begonnen. Via Mail. Nicht viele. Nur ein paar Personen, mit denen ich alle paar Wochen schreibe. Manche kenne ich, habe sie auf einen Tee getroffen und von anderen weiß ich nicht einmal den vollen Namen. Es ist etwas besonderes und es befreit. Der Alltag tritt etwas in den Hintergrund und die Welt der Worte öffnet ihre Pforten.

Kurz vor vier lasse ich mich ins Bett fallen. Der nächste Termin ist erst am frühen Nachmittag.

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