Einzeit

Im Hintergrund rattert der Telegraf.

Manchmal muss man sich erinnern. Wer man ist. Wer man sein will.

Ich weiß es nicht schreie ich ihn an. Verwirrter Blick, dann ignoriert er mich wieder und räumt weiter das Regal ein. Außer einer jungen Frau hat niemand meinen kleinen Auszucker mitbekommen. Milch gibt es im Kühlregal. Ich nehme zwei Packungen von der weißen. Es wird behauptet, dass die Bauern mehr Geld bekommen. Dafür kostet sie zehn Cent mehr. Oder sind es zwanzig? Bei Nahrungsmittel schaue ich nur selten auf den Preis. Als einmal einige Wochen akribisch jede Ausgabe notiert habe, bin ich darauf gekommen, dass Essen mit Abstand der größte Posten ist. Allerdings habe ich dort auch auswärts Essen eingerechnet. Das wiederum oft günstiger ist, als wenn ich selbst koche. 250 Euro unter der Armutsgrenze. Würde ich nicht hin und wieder etwas dazuverdienen oder etwas zugesteckt bekommen. Ich sehe es nicht als Problem. Habe es immer noch leichter als viele anderen. Und bräuchte ich mehr, würde ich es bekommen. Dies zu wissen reicht mir. Zweimal pro Woche setze ich mich ins Büro und mache Dinge. In letzter Zeit frage ich mich manchmal, ob das ist was ich machen möchte. Ob das meine Zukunft ist. Wir sprechen darüber. Meist gehe ich dann überzeugt hinaus, dass es stimmt. Wenn ich alleine durch die Nacht spaziere, fühlt es sich teilweise so an, als wäre es das nicht. Im Potential leben. Was sein könnte. Doch wenn ich etwas anderes will, müsste ich die Hand danach ausstrecken und zugreifen. Das schaffe ich auch nicht. Noch nicht.

Zwei Stunden und fünfzehn Minuten. Selten habe ich so oft den Kopf geschüttelt, mir auf die Zunge zerbissen, in Gedanken geschrien. Diese Menschen studieren. Hören sich aber an und sprechen, als wären sie mit der Hauptschule noch nicht fertig. So wenig sagen diese Zettel aus. Und sie bekommen den Mund nicht auf. Schaffen es nicht Informationen zu verarbeiten. Alles Schwachsinn. Ich halte das nicht mehr lange aus. Dachte, ich könne mich dort weiter entwickeln, muss aber feststellen, dass ich lediglich anderen Menschen weiterhelfe und möglicherweise ihr Verhalten studiere. Meine kleine soziologische Studie. Wertvolles Feedback. Von jemanden, der sich auskennt. Doch soweit kommt es nicht. Weil ich in einer Gruppe arbeiten muss. Was ich acht Jahre lang gelernt habe, worin ich recht gut bin. Doch nicht, wenn das Gefälle innerhalb an einen Wasserfall erinnert. Das meiste ist verstaubt bevor es unten ankommt. Arrogantes Arschloch. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit. Wie die Welt dann funktionieren soll. Je mehr ich kennen lerne, desto schrecklicher finde ich es. Ich habe Angst davor, dass irgendwann mein Schluss ist, das System für meine eigenen Zwecke zu gebrauchen, weil es nicht möglich ist es zu ändern. Die Sache mit der Arbeit. Ich bin nicht dazu gekommen, sie rechtzeitig abzugeben. Nun schreibe ich sie in Eigenregie fertig. Wenn sie jemand akzeptiert kann ich ein weiteres Stück Papier einsammeln. Wenn nicht, dann steige ich wohl aus. Es macht keinen Sinn mir das gleiche mehrmals anzuhören, die gleichen dummen Fragen, die schlechten Präsentationen. Anwesenheitspflicht, um zu zeigen, dass man dabei ist. Ich bin nicht auf sie angewiesen um zu veröffentlichen. Heute ist es einfacher denn je Systeme zu umgehen. Und wenn sie es schaffen, meine Arbeiten wissenschaftliche zu widerlegen, werde ich mich fügen. Ein wenig zumindest. Aber so lange es nur darum geht zu produzieren, ein paar lächerliche Kriterien zu beachten und gar nicht so sehr auf den Inhalt schaut, sehe ich wenig Sinn darin. Ich habe schon mit mehreren darüber gesprochen. Sie haben nicht die Zeit alles zu lesen, so bleiben nur Formalitäten nach denen man bewerten kann. Und Stichproben. Früher hätte ich Angst gehabt, es verteidigen zu müssen, heute würde ich es gerne machen. Doch kann ich von keinem Lastwagenfahrer erwarten, dass ich mit ihm über Vogelschwärme sprechen kann. Was abseits der Straße passiert, wird ignoriert. Und es wird fleißig daran gearbeitet, dass niemand von der Straße abkommt. Die Straßen werden immer besser, stabiler und die Lastwägen größer, schneller und umweltfreundlicher. Man könnte ja die Straßen überdachen, dann könnte ich dort meine Vögel entlangtreiben. Ich lasse mich aus dem Fenster fallen und segle dem Sonnenuntergang entgegen.

Aussteigen statt aufsteigen. Gelernte Unzufriedenheit. Drüben regen sie sich auf, dass niemand mehr ihre Werbung sehen will, hier bekommt man den günstigeren Handyvertrag, wenn man Werbe-SMS akzeptiert. Gesponsert nennen sie es. Und es macht Sinn. Nicht die Großen sollte man unterstützen, sondern die kleinen. Der Mobilfunkbetreiber wird plötzlich zum Werbeträger, weil es die, die es bisher gemacht haben, nicht mehr schaffen. Es gibt so vieles, mit dem ich mich beschäftigen könnte. Aber will ich das auch? Ich bin gut geworden. So gut, dass ich herumfahren und Leuten erzählen kann, wie gut ich bin. Lache selbst darüber. Erinnere mich wie es angefangen hat. Wie ich groß geworden bin. Etwas wertvolles hergeben, um etwas unbezahlbares zu erhalten. Es hat Spaß gemacht und ich will wieder dorthin. Das Problem ist nur, dass mit dem Erfolg andere Menschen gekommen sind. Menschen, die ich auch mag, aber vor denen ich mich immer wieder erklären muss und das ist anstrengend. Würde ich einen Schnitt machen, alles stehen lassen, meine zwei Koffer nehmen und abhauen, wäre es kaputt. Wahrscheinlich für immer. Ich weiß es nicht. Keine Hassliebe, sondern ein naja. Die Achterbahn wurde gerade gebügelt und wurde zu einem einem ICE. Schnell voraus, aber mit wenige Höhenunterschied oder Beschleunigung. Man kommt zum Ziel. Aber es macht nicht wirklich Spaß. Auch wenn ich das Zugfahren genieße. Man kann gut schreiben. Könnte. Wenn man nichts mehr zum schreiben hat, nützt es nichts, dass es gut ginge. Ich drehe mich um und sehe die weiße Wand. Die Struktur der Holzbretter, die die Form gegeben haben. Der Boden aus schwarzen Noppeln. Die weißlich gelben Warnstreifen auf den Stufen sind teilweise abgegangen. Der gebürstete Müllkorb erst Jahre später hinzugekommen. Dafür war der Kleiderständer von Anfang an Teil davon. Plakate an den Wänden. Sauber hinter einer Schicht aus Plastik in einem Aluminiumrahmen. Bildung muss finanziert werden. Wann habe ich das letzte Mal etwas verrücktes gemacht? Bin mitten in der Nacht ins Auto gestiegen und in die Stadt gefahren. Neues erleben. Ich töte mich selbst. Langsam. Habe mich eingeigelt. Die Gedanken zerfressen mich. Ich hätte es niemals lassen dürfen. Jeder Tag an dem ich kein Wort geschrieben habe, ist ein verlorener. Es ist das was ich will. Das was ich kann. Ein wenig zumindest. Doch niemals alleine. Ich brauche mehr. Was zu erzählen und was erleben. Was tun. Sich sinnvoll finden. Spaß haben. Leben leben. Ich springe auf und tanze um den Tisch. Das Lokal steht still, die Musik geht aus und ich hinterher.

Man muss mich nicht verstehen, aber man darf nicht die eigenen Vorstellungen über mich stülpen. Menschen sind so unterschiedlich. Mag sein, dass die Sätze keinen Sinn machen. Für mich tun sie es. Mag sein, dass sie grammatikalisch falsch sind, dass ich Worte erfinde. Ich fühl mich gut damit. Es ist ein Teil meiner Welt, den ich mir nicht nehmen lassen werde. Es ist der Teil, der mich am Leben hält. In harten Zeiten begleitet. Plötzlich spüre ich wieder die Energie. Begeisterung für mich selbst. Tatendrang. Ich darf es nicht aufgeben. Selbstreflexion, Gedächtnistraining, Fantasie. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

Ich bestehe aus den Dingen, die ich für andere mache. Doch ich lebe für mich.

Eine halbe Stunde Sport, eine Stunde schreiben. Meist stehe ich mir selbst im Weg, weil ich an die Dinge denke, die zu machen sind. Oft habe ich es bevorzugt nichts zu tun und somit auch dem Vorwurf zu entgehen, dass ich etwas nicht ernst nehme. Wochen, wenn nicht Monate, die ich damit verloren habe. Am Rande der Existenz. Niemand kann mit mir etwas anfangen, wenn ich nicht mehr bin. Auch nicht, wenn ich unglücklich bin. Es ist keine aktive Entscheidung, ob man es ist. Die Entscheidung ist, was man tut. Und man muss die Dinge tun, die einen glücklich machen. In denen man aufgeht, die einem Kraft geben. Kommunikation. Wie ich es liebe. Die kleinen Dinge mitbekommen. Da sein. Mitfühlen. Halt geben. Soweit ich das kann. Die Flügel ausbreiten und mitfliegen. Draußen ist es schon dunkel. Die Kopfhörer pumpen weiter. Die Lichter gehen an. Ich will noch nicht nachhause gehen. Nachhause. Kaputtes Wort. Und dann waren da noch die getrockneten Himbeeren. Der feine Staub hat im Gaumen gekitzelt. Zum knabbern waren sie eine Spur zu intensiv und man kann nicht wirklich sagen, welche gute sind und welche nicht. In Kombination oder als Ersatz für Baiser wären sie ideal.

Es tut gut zurück zu sein. Aber ich sollte mir Gedanken machen, wie oft ich solch einen Urlaub noch vertrage. Ich dachte immer, das solle etwas erholsames sein. Und über die Anonymität muss ich mir auch noch ein paar Gedanken machen. Vielleicht nicht hier. Wir werden sehen. Im Moment geht es mir großartig und ich freue mich schon sehr, sie heute Abend wieder zu hören.

Auszeit aus.

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