damals©

Es gibt keine Generation Y. Wir waren Menschen zwischen 14 und 41. Wir schrieben darüber, dass man sich vor Öffentlichkeit nicht fürchten müsse. Dass wir, solange wir es selbst bestimmen können was wir veröffentlichen kein Problem damit haben über innerste Gefühle zu schreiben und mit unserem Namen, unserem Bild dafür zu stehen. Ich habe mich frei gefühlt. Ich habe mich wohl gefühlt.

Störenfriede gab es schon immer. Wir nannten sie Trolle, ignorierten oder löschten sie. Manchmal machte man sich auch über sie lustig, aber das hat ihr Interesse meist nur noch gestärkt. Ich habe mich sogar mehrmals auf ihre Seite gewagt. Habe das gemacht, wofür ich sie nicht mochte. Doch in einer sicheren Umgebung. Nach Trollregeln.

Mein Blog hat mir alles bedeutet. Ich habe mich mit ihm und in ihm entwickelt. Ich habe Stöckchen und Wattebäusche durch die Gegend geworfen und gefangen. Ich habe das innen nach außen gestülpt. Habe über Probleme und Hoffnungen geschrieben. Habe geheult und gelacht. Nächtelang habe ich Blogs gelesen. Kommentare geschrieben. Mit viel Liebe und manchmal etwas Wut. Im Blog stand wann ich aufstehe und wann ich schlafen gehe, was ich am liebsten esse und was ich nicht ausstehen kann, was ich in meinem Leben noch machen möchte und was nie wieder. Ich, Vorname Nachname.

Man hat sich über fehlendes Verständnis bei Bekannten aufgeregt. Dass sie es als dumm oder gar schädlich bezeichnet haben, dass man so viel von sich in diesem Internet preis gibt. Ich habe versucht zu erklären, doch mehr als ein mildes nicken habe ich nie bekommen. Es war nicht zu vermitteln, dass ich mich mit vielen Menschen in diesem Internet stärker verbunden fühle, als Personen, die ich täglich sehe. Selbst nachdem ich immer mehr aus diesem Internet getroffen habe, war es für sie unverständlich. Ich habe mich so großartig mit ihnen verstanden und wollte noch viel mehr treffen. Doch es hat sich etwas verändert.

Es gibt keine Generation Y. Wir waren Menschen.

Die Leserzahlen sind gewachsen. Die Kommentare, die Verlinkungen, die Aufmerksamkeit. Dann ist die Werbung gekommen. Ich hatte kein Problem damit. Was gekennzeichnet ist, geht. Zeitung, Radio, Fernsehen. Ich habe alles mitgemacht. Freundlich in die Kamera gegrinst und mich gefreut, dass sich so viele dafür interessieren was ich schreibe. Doch sie haben es nicht. Sie haben es sich eingebildet. Es wurde ihnen gesagt, dass da etwas passiert und sie wollten auch teil davon sein. Sie haben sich dazugesetzt und über Dinge geredet, von denen sie nichts verstanden haben. Sie haben sich eingemischt und die Hintergründe zu kennen. Ich habe versucht sie zu ignorieren. Ich habe versucht weiter für mich und die die mir wichtig waren zu schreiben. Doch es ging nicht. Ich konnte die Augen nicht verschließen, ich habe die Zahlen gesehen, ich bin süchtig geworden. Habe mich aufgegeben. Habe das bloggen aufgegeben und für die Zahlen geschrieben. Habe Geld bekommen. Auch wenn ich mich an die eigenen Regeln gehalten habe, war es nie wieder wie früher. Die Unbeschwertheit ist verloren gegangen. Auch die Leidenschaft hat darunter gelitten. Ich habe weniger geschrieben. Mich selbst außen vor gelassen. Inzwischen hatte ich eine Arbeit. Auch wenn meine Geschäftspartner bloggen großartig fanden, wurde ich nach persönlichen Beiträgen immer wieder darauf hingewiesen, dass ich so etwas nicht schreiben solle. Dass das kein gutes Licht auf mich wirft. Ich habe immer gesagt, dass es mich menschlich macht. Dass es das ist, was mir in den Sinn kommt. Doch ich konnte nicht mehr. Ich hatte ständig bedenken. Bei jedem Satz den ich geschrieben habe. Es fehlte vorne und hinten. Kein totales aufgehen in den Worten, kein Flow, der mich mitreißt bis ich nicht mehr weiß wie spät es ist, der mich nur so über die Tastatur fliegen lässt und ein einmaliges Gefühl hinterlässt. Wie guter Sex.

Verdammt ich will nicht mehr. Das System, die Gesellschaft und die Menschen. Es reicht mir. Einfach alles hinwerfen, einen Block nehmen und für mich selbst zu schreiben. Doch das habe ich zuvor auch nicht gemacht. So ist es mir auch nicht danach gelungen. Es war etwas anderes. Ich brauchte Publikum. Ich wollte mich darstellen. Ich wollte teilen und nicht nur mit toten Papier. So habe ich begonnen die Zettel liegen zu lassen. In Cafés, im Zug, auf der Universität, bei Veranstaltungen. Ich wusste nicht wer es ließt, ob es jemals jemand liest. Aber es war nicht mehr verschwendet. Es war mehr als nur für mich selbst.

Ich will mich nicht mehr erklären müssen. Ich will nicht mehr dastehen und nicht wissen was ich sage. Ich kann nicht mehr mit meinem Namen dafür stehen was ich schreibe. Zuvor habe ich mitangesehen wie andere Blogger, die gern, sehr gern las sich zurückzogen. Entweder komplett aufgehört haben, nicht mehr über sich schrieben, einen anonymen Blog starteten von dem sie niemanden etwas gesagt haben. Oder wie ich nur noch über unpersönlichen Allgemeinkram geschrieben haben. Professionalisierung der Blogosphäre. Das könnt ihr euch sonst wo hinschieben. Die Offenheit wurde getötet, weil ihr der Meinung wart, dass man das nicht tut und man die Menschen deshalb in alle Einzelteile zerlegen musste. Scheiße. Natürlich ist das polemischer Unsinn und ich kann mich nur an die guten Dinge erinnern, aber so fühlt es sich an. Gefühle. Wisst ihr noch was das ist? Das tief in euch drinnen, das euch leitet und wirklich verantwortlich ist. Was wir täglich versuchen mit Rationalität zu überspielen, zu unterdrücken. Es wird niemals verschwinden und ich habe genug davon es in meinen Texten zu unterdrücken. Das alles bin ich.

Wir sind noch da. Und wir bleiben.

Beteilige dich an der Unterhaltung

7 Kommentare

  1. Ja.
    Es befreit,
    und irgendwann kommt er doch der Punkt: Offenheit belastet;
    die Gedanken.

Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar zu Sammelmappe Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert