Elektroscooter und Laufschuhe

Bin immer noch hier.

Kurz überlegt über die Arbeit zu schreiben. Dankbarkeit für den Modus. Aber nach dem ersten Satz hängen geblieben. Deshalb gibt es das ein anderes Mal. Oder nie. Weil ich Dinge vergesse.

Nach der Arbeit Frau Wunderbar zu einem Termin gebracht und währenddessen mit dem Kind spazieren gegangen. Wir haben viele Elektroscooter gesehen. In unserem Ort stehen die nicht, deshalb fiel es auf. Spontan die App heruntergeladen und einen aktiviert. Mir war klar, dass nicht zwei Personen damit fahren durften. Etwas überrascht war ich allerdings, als ich die erste Regel las: Helmpflicht. Nachvollziehbar, aber noch nie jemanden mit Helm auf einem solchen Fahrzeug gesehen. Wird schließlich vor allem in Situationen genutzt, wo man nicht vorbereitet ist. Jedenfalls hat sich das Kind vor mir auf den Roller gestellt und wir sind ohne Helme über den leeren Radweg gebraust. Da wir kein Ziel hatten, sind wir dann auf einen Parkplatz gewechselt, um dort unsere Runden zu drehen. Hat Spaß gemacht. Und ein Euro und vierzig Cent gekostet.

Später waren wir im Einkaufszentrum. Das erste Mal seit mehreren Monaten. Das Sportgeschäft baut gerade um und verkaufte alles zum halben Preis. Ich möchte mir seit einiger Zeit Laufschuhe kaufen. Bisher besaß ich nur Turnschuhe, die etwa fünf Jahre alt sind und langsam zerfällt die Sohle. Ich habe schon recherchiert und eigentlich sollte ich in einem Fachgeschäft eine Analyse machen lassen, aber dafür fehlt mir die Motivation. Mein Wunschschuh war ein Brooks Ghost. Den gab es aber nur in der GTX-Variante und schwarz. Nachdem ich die meisten anderen Schuhe in meiner Größe durchprobiert hatte und sie alle nicht so bequem waren, habe ich ein letztes Paar Brooks Glycerin gefunden. Und das hatte auch noch meine Größe. Also eigentlich etwas größer, aber Laufschuhe fallen wohl oft kleiner aus. Sie passten und waren in einem wunderschönen Blau. Also habe ich sie gekauft. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie ansehe.

Bei dem Text, den ich schreiben muss, habe ich nicht mehr als Eckdaten und Formatierungseinstellungen geschafft. Das ist mehr als gestern. Morgen habe ich vier oder fünf Termine. Ich werde um eine Verlängerung bitten müssen, werde aber trotzdem versuchen ihn fertig zu bekommen. Weil ich im Oktober auch keine Zeit dafür habe.

Tag verarbeitet. Jetzt noch etwas an die Schuhe denken und dann schlafen.

Das ist jetzt diffus

Am Nachmittag ging es mir gut. Dann nicht mehr. Das Kind sagt, ich solle Tagebuch schreiben. Hallo Tagebuch.

Ich liege im Bett. Schreibe auf dem Handy. In den Ohren Danger Dan.

Nächste Woche ein Workshop und eine Podiumsdiskussion mit irgendeinem Chefredakteur. Alles online. Anders würde ich es nicht schaffen. Bis übermorgen eine theoretische Arbeit über zwölf Seiten. Ich glaube, ich habe noch nie eine theoretische Arbeit geschrieben. Mal nachlesen, wie das funktioniert. Der Lehrende meinte, er vertraue mir genug, dass ich kein Exposé schreiben muss, sondern direkt die Arbeit abgeben kann. Für das fünfseitige Essay, das ich an meinem Geburtstag geschrieben habe, gab es eine Zwei. Ganz sicher, warum ich das alles mache, bin ich mir nicht. Sicher bin ich mir nicht.

“Ziellose Neugierde”, habe ich auf die Frage geantwortet, mit welchen beiden Begriffen man sich identifiziert. Im Ferngespräch fiel mir ein, dass die zwanghafte Hilfsbereitschaft fehlt. Wenn es mir irgendwie möglich ist, helfe ich. Manchmal auch wenn es nicht möglich ist. Es ist ein selbstzerstörendes Verhalten.

Freitag nachts repariere ich den Datensatz per Hand, weil ich nicht möchte, dass der Redakteur Stress bekommt. Lieber habe ich ihn. Der Stress macht mich fertig. Ich freue mich, dass ich es irgendwie hinbekomme. Das kurze Danke bedeutet mir mehr als die Überweisung. Mein Leben ist auf Stressvermeidung ausgelegt. Immer wieder entschiede ich mich für Projekte, bei denen ich davon ausgehe, dass ich sie gerade so hinbekommen werde. Wenn ich es gerade so schaffe, ist die Gefahr geringer, dass ich darauf bestehen, dass es perfekt wird. Perfekt wird es nie. Es ist ein theoretischer Idealzustand. Unereichbar.

In zehn Tagen fahren wir auf Urlaub. In einen der verschlafensten Orte an der Nordsee. Das stimmt so nicht, aber es klingt besser. Ich freue mich sehr. Es ist mein erster Urlaub. Weil ich noch nie angestellt war. Eine kleine Wohnung. Viel Spazierengehen. Essengehen.

Warum meine Stimmung so instabil ist, weiß ich nicht. Ganz allgemein fällt es mir schwer, mich selbst zu fühlen. Aber ich habe eine Vermutung woran das liegt. Alexithymia ist der Fachbegriff.

Das Schreiben hilft mir. Hat es auch früher. Es stabilisiert meine Gedanken, wenn sie rasen und zwischen meinen Fingern zerinnen. Vielleicht hilft es mir auch dabei herauszufinden, was mir wichtig ist.

Dreiunddreißig

Von außen könnte man meinen, ich sei angekommen. Ein Kind, verheiratet, Job in Technik und Verwaltung der Uni. Stabilität.

In mir rast es. Die Gedanken. Unaufhörlich. Zweifel. Ist es das was ich will? Was will ich eigentlich? Wer bin ich? Ich bin vor zehn Jahren umhergeirrt und tue es heute noch. Finde meinen Platz nicht. Es geht mir gut. An manchen Tagen bin ich zufrieden.

W. sagt, ich soll mir ein Hobby zulegen. Vielleicht etwas mit Elektronik, das ich mit dem Kind machen kann. Derzeit interessiert es sich für ferngesteuerte Autos. Ich stelle es mir schön vor. Das werde ich probieren.
Ich arbeite Vollzeit. Daneben studiere ich. Daneben unterrichte ich. Daneben bin ich selbständig. Daneben entwickle und vermarkte ich mein Produkt. Daneben halte ich Vorträge. Daneben unterstütze ich den Ortsverband einer Partei. Heute habe ich mit einem Freund gesprochen, was ich machen würde, wenn Geld keine Rolle spielen würde. Meiner Neugierde folgen. Über die letzten Jahre hat sich herausgestellt, dass es weder ein bestimmtes Thema, noch eine bestimmte Art des Arbeitens ist, die ich bevorzuge. Es sind Dinge, die meine Neugier wecken und ich kann nicht mehr loslassen bis ich ihnen auf den Grund gegangen bin. Dieser Neugier folgen können ohne ständig eine Liste von Aufgaben im Hinterkopf zu haben; Das ist mein Traum. Manche Erkenntnisse kann man zu Geld machen. Aber ich möchte mich gar nicht damit beschäftigen. Ich möchte Spuren folgen und teilen, was ich herausfinde. Weder verkaufen, noch um Spenden bitten. Aber das funktioniert in unserer derzeitigen Welt nicht. Meine unterschiedlichen Tätigkeiten geben mir zumindest ein großes Feld, auf dem ich meiner Neugierde folgen kann. Und es gibt mir die Sicherheit. Selbst wenn einzelne Dinge wegfallen, muss ich mir keine Sorgen machen. Zugleich belastet es mich, dass ich alles miteinander ausbalancieren muss und ich mich nicht auf eine Sache fokussieren kann. Ich laufe in drei Richtungen und trage das Fahrrad auf dem Rücken. Nur für den Fall.

Zeit mit W. macht mich glücklich. Essen auch. Wenn ich eine komplizierte Aufgabe gelöst habe. Wertschätzung anderer Menschen. Jemanden helfen können.

In den letzten Monaten habe ich mich damit auseinandergesetzt, dass ich wahrscheinlich Autist bin. Viele meiner Eigenschaften, von denen ich bisher ausging, dass sie alle Menschen haben oder sie halt eine Eigenheit von mir sind, lassen sich damit erklären. Meine Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Die Schmerzen, die bestimmte Geräusche und Berührungen auslösen. Vergesslichkeit. Nicht zu wissen, wie ich mich fühle. Gereiztheit, wenn ich gestört werde, während ich mich intensiv mit etwas beschäftige. Alles zu planen. Soziale Situationen vorbereiten indem ich mir vorab überlege, wie ich auf unterschiedliche Dinge reagiere. Faszination für Details und das Erkennen von Mustern. Mein Selbstdiagnose-Dokument ist inzwischen dreißig Seiten lang. Und irgendwann finde ich die Energie, mich um eine offizielle Diagnose zu kümmern.

Mit jedem Wort werde ich ruhiger. Die Gedanken hören auf zu springen. Es tut gut, sie zu ordnen, aus dem Kopf zu lassen. Eingegossen in Pixel können sie nicht mehr rasen und mich damit stressen.

Es geht mir gut. Ich werde weiter umherirren. Manche Dinge werden sich ändern, manche werde ich ändern. Zeit mit W. und dem Kind. Gutes Essen. Etwas Bewegung und Texte schreiben.

Ein Text

Den ersten Satz muss ich schreiben ohne über Nachzudenken. Nur dann trauen sich langsam meine restlichen Gedanken heraus.

Ich weiß nicht wann ich das letzte Mal für mich geschrieben habe. Die letzten Jahre haben vor allem anderen gehört. Die letzten Jahre habe ich vor allem für andere geschrieben? Produziert?

Die Pandemie. TikTok. Die Pandemie und TikTok haben mir geholfen Dinge über mich selbst zu erfahren. Und dann stocke ich. Die Wörter fließen nicht. Stattdessen die Schere im Kopf. Präsenter als früher. Imaginierte Verlustängste. Muss man nicht diagnostizierte Krankheiten offenlegen? Kann ein pseudonym geführter Blog, in dem man über eben jene Dinge geschrieben hat, gegen einen verwendet werden? Von wem eigentlich? Und warum? Je mehr Reichweite man hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass darunter Personen sind, die einem schaden wollen.

Ich studiere wieder. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Vollzeitstelle. Ich habe Angst.

Was für ein zusammenhangsloser Mist. Vielleicht konnte ich nie schreiben. Schreiben kann man nicht. Schreiben ist ein Prozess. Zumindest hier. Es geht darum die Gedanken zu sortieren. Und für das Tagebuch mache ich es nicht. Deshalb muss es hier sein. Vielleicht nochmal von vorne anfangen. Ein neues Pseudonym. Oder auch nicht. Mehr Mut. Veröffentlichen ohne viel Nachzudenken.

Zwanzigsiebzehn

Hallo Worte. Hallo Tastatur. Hallo Klackern. Hallo neues Jahr.

Ohne Konzept schreiben und sich in den eigenen Gedanken verirren. Sich selbst erlauben. Wichtig. Aufschreiben. Für später. Mich verbindet viel mit dieser Tätigkeit. Dem Dinge ausschreiben. Und hier ist mein geheimer Ort, wo ich es machen kann ohne mir zu viele Gedanken zu machen. Stimmt schon lange nicht her. Als ich das erste Mal darauf verwiesen habe, habe ich ihn zerstört. Aber nur für mich ist auch nicht, was ich will. Ich will wahrgenommen werden und nur für mich schreiben. Leises Lächtern aus den hinteren Reihen. Das letzte Jahr war viel. Aufregend eher nicht. Zerfressend. Aufschabend. Schutzlos umherirren mit wenig Hoffnung und kurz vor dem Aufgeben. Alles, das zählen darf, ist die Familie. Und ich. Der Gedanke an mich war verboten. Als würde man das eine ohne dem anderen abschließen können. Zeit für sich. Energie für sich. Blick für sich. Introperspektive. So viel Zeit totgescrollt, weil ich mich nicht mit dem Leben beschäftigen wollte. Aber ich kenne jetzt wirklich gute Angebote, die schon längst nicht mehr relevant sind.

Unterscheiden was wichtig ist und was nicht. Dinge nicht teilen. Das habe ich nie trainiert. Ich habe weg geschoben. Der Rest stand zu meiner unbeschränkten Verfügung. Im Nachhinein kann man sich alles schön reden. Im Nachhinein. Aber Wiederholung ist super. Ich mag Wiederholungen. Außer bei Filmen. Oder Serien. Einmal schauen reicht. Meist. Und kippe ich wieder rein, kann ich nicht mehr aufhören. Nicht ideal. Aber man arbeitet mit den Dingen, die man bekommt.

Von Weihnachten bis Silvester mit Verkühlung im Bett und das schmerzende Gefühl, die Schuld dafür zu bekommen. Warum eigentlich. Woher kommt das. Und warum überhaupt Schuld. Sind wir nicht frei. Frei wie die Vögel, die erfroren vom Himmel fallen. War dann doch zu weit. Mein Büro ist links hinten offen und ich verstehe jetzt Fengshui. Wenn man ständig angespannt ist, weil es nicht meins ist, sondern ich nur geduldet werde. Das Leben als gegenseitige Duldung. Vielleicht kann ich irgendwann eine Türe einbauen. Oder in ein anderes Zimmer. Oder wir ziehen um. Ans Meer. Das mit der Stadt habe ich schon größtenteils aufgegeben. Immer die kleinen Worte. Größtenteils. Wie ich mich selbst anlüge. Aber nicht die anderen. Zuerst mich. Durch mich die anderen.

Kannst du dich noch erinnern. Kryptomanisch. Ja, das sind die Zeilen, das sind die Worte, das sind die Buchstaben und die Sätze. Nur ein bisschen zu wenig. Für mich und alle anderen. Ich habe mich jahrelang versteckt. Weil ich das Gefühl hatte, Dinge falsch zu machen. Und vielleicht habe ich es auch. Und wenn schon. Jetzt treffen die Konsequenzen nicht mehr nur mich, sondern ich reiße gleich noch meine Familie mit in den Abgrund. Großartig. Und dann sagen sie, man könne mit Worten keine Ironie, keinen Sarkasmus übertragen. Ich muss noch immer nachschlagen, welches Wort, was bedeutet und dann schreibe ich doch beide, weil ich zu faul war nachzuschauen und der Bedarf nur in meinem Kopf als relevant beanstandet wurde. Nur, weil der Kopf alles ist. Mein Kopf alles ist. Es findet nur dort statt. Wenn meine Augen den Fingern folgen, wissen sie nicht, wie sie beschaffen sind. Lediglich die Repräsentation von Lichtimpulsen. Vorgefiltert und in zuckende Gehirnmasse umgewandelt.

Ich möchte wieder offen sein.

Wiederfindung

„Hast du mich vergessen?“
„Ja. Manchmal. Kann man jemanden manchmal vergessen? Ich weiß es nicht. Du fehlst mir. Nachts. Manchmal tagsüber. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, möchte ich mich zu dir setzen. Eine Zeit lang schweigend da sitzen, dann dir zuhören, manchmal nicken und sonst nichts.“

Mein Leben macht keine Pausen mehr. Ich lasse keine Pausen zu. Ständig tickt etwas, entweder ich muss etwas machen oder jemand möchte etwas von mir. Es ist meine eigene Verantwortung. Natürlich. Aber ich schaffe es nicht. Ich habe Angst. Angst, Dinge kaputt zu machen, wenn ich das auch noch bemängle. Und dann platze ich. Weil ich zu lange gewartet habe. Die meiste Zeit bin ich ein Pulverfass, das bei der kleinsten Erschütterung explodiert. Ich lösche mich selbst, bin für den Rest des Tages aber nicht mehr zu gebrauchen. Muss meine Einzelteile zusammensammeln, während ich schon wieder übergebe, weil ich die Dinge nicht fangen kann, die mir zugeworfen werden. Es überrascht mich, wie gut ich trotz allem funktioniere. Ich bin unsortiert und ziellos. Meist ist das auch in Ordnung. Entscheidungen spontan treffen, sich von den Möglichkeiten, die sich bieten treiben lassen. Manchmal wünsche ich mir mehr Stabilität. Bald wieder Tabletten. Nichts starkes, nur ein Ersatz, der bestimmte Hormonproduktionen auf Normalniveau bringt, weil mein Körper sich nicht selbst darum kümmert. Die ersten Tage nachdem sie fertig waren, habe ich keinen Unterschied bemerkt, inzwischen ertappe ich mich wieder öfter, dass ich mich verstecke und Dinge aufschiebe, die mir normalerweise Spaß machen. Anfangen war schon immer schwierig, aber nicht so schwierig.

Sowohl im Wohnort als auch an der Universität habe ich Dinge aufgebaut, die mich in eine interessante Position bringen. Erst unbewusst, inzwischen wird es mir klarer. Ich finde es spannend und fordere heraus. Macht durch Reichweite. Meine Energie wäre woanders wahrscheinlich sinnvoller investiert.

„Was bedeutet sinnvoll?“
„Darf ich mich an dich kuscheln?“

Es bleibt nicht viel Platz neben dem Kind. Nicht im Kopf, nicht im Bett, nicht in der Zeit. Das gehört dazu. Ich habe mich damit abgefunden, denke aber manchmal daran, wie man es etwas lockern könnt. Also, ich fantasiere, dass es sich von alleine verändert. Es ändert sich auch vieles ständig.

Der Abschluss steht seit einem Jahr vor der Türe, aber ich mache nicht auf. Weil ich faul bin. Weil mich das Thema dann doch nicht so sehr fesselt wie alle anderen Dinge, die herumschwirren und ich gut im Verdrängen bin. Irgendwas historisches. Mit Medien und Angst und Krankheit. Eine Seite voller Notizen, aber keine Recherche. Die würde mich vielleicht fesseln und dann würde ich nicht mehr loslassen und das fertig machen. So der Plan. In den nächsten Tagen mache ich das. Ich reserviere mir zwanzig Minuten und dann suche ich einmal quer durch. Dann schreibe ich dem Betreuer und dann mache ich das fertig. Einfach so. Und wenn ich dann aufwache, werden es andere Dinge sein, die meinen Schweiß ausbrechen lassen.

„Bis bald.“

abgrundtief.txt

[lightgrey_box]Projekt *.txt | Das dritte Wort | Beiträge aller Autor_innen[/lightgrey_box]

„Ist doch nicht schlimm“, sagt er. Ich unterdrücke alles was ich nicht schaffe zu sagen. Die Tabletten liegen auf dem Boden der Toilette verteilt. Sie aufzuheben ist keine Option. Ich drehe mich um und gehe langsam zurück. Jetzt nichts anmerken lassen. In mir kocht alles und ich friere. Angespannt, Tränen unterdrückend. An der Klassentüre fragt mich Gringone, ob alles in Ordnung ist. Kurz den Kopf nach unten ziehen und weitergehen. Er weiß, dass nichts in Ordnung ist, aber auch, dass er im Moment nichts daran ändern kann.

Am Nachmittag liege ich auf dem Geländer des Balkons und höre Musik über Kopfhörer. Tränen laufen über meine Wangen und ich würde mich gerne fallen lassen. Ein Stockwerk auf die Wiese würde mich wahrscheinlich nicht einmal ins Krankenhaus bringen. Vielleicht wenn ich es auf die Steinplatten schaffe, mit dem Kopf voraus. Aber das ist alles zu unsicher und für mehr habe ich keine Kraft. Also bleibe ich liegen. Wie so oft. Einfach liegen und die Welt ausblenden.

Jahre später bekomme ich eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Er ist noch im gleichen Schuljahr sitzen geblieben, hat die Schule gewechselt und die dann auch abgebrochen. Zuerst sprudeln all die Erinnerungen wieder hoch. Ich rede mir ein, dass ich darüber stehe. Vergangenes ist vergangen, Menschen ändern sich. Ich nehme an. Die nächsten Wochen werde ich mehrmals gefragt, warum ich ihn noch nicht geblockt habe. Dämliche Kommentare zu meinen Beiträgen und Nachrichten, die versuchen mich runterzumachen. Menschen ändern sich. Ich kenne tolle Menschen, die mich unterstützen. Ich habe plötzlich so etwas wie eine Machtposition. Mit jeder seiner Meldungen, stellt er sich bloß. Öffentlich. Es hilft mir zu verarbeiten, auch wenn es zuerst irritierend wirkt. Irgendwann schreibe ich einen Beitrag, um zu erklären, warum er bisher nicht geblockt wurde. Dann blocke ich ihn.

Alles hätte eleganter gelöst werden können. Aber tief eingebrannte Emotionen.

Heute geht es mir besser. Die Erinnerung bleibt.

Verplanung

Ich habe soeben die Kaninchen in den Stall gebracht. Die Rollo sind schon seit Mittag herunten, damit ich weder gebraten noch geblendet werde. Der Computer hat sich vor kurzem auch beschwert. Stumm. Indem er einfach ausblieb. Ob es von der Hitze kam oder von den gehäuften Stromausfällen der letzten Tage, vermag ich nicht zu beurteilen. Dafür habe ich mir neue Kopfhörer bestellt. Importiert aus China, weil ich denen mehr traue, als den Untermietern beim lächelnden Händler. Bis zu drei Wochen dauert es. Ich hoffe, dass es kürzer ist. Es ist eines der wenigen Dinge in meinem Leben, bei dem ich derzeit hoffe, dass die Zeit schneller statt langsamer vergeht.

Dienstags und Donnerstags bin habe ich je ein Seminar in der Uni. Ich brauche sie nicht für meinen Abschluss, aber sie geben mir Struktur und sind inhaltlich interessant. Mit Fahrzeit ist ein halber Tag verbraucht. Man kann Tage nicht verbrauchen. Nur für unterschiedliche Dinge nutzen. Morgens ist es meist neun bis wir mit dem Frühstück fertig sind. Um zwölf gibt es Mittagessen, um drei Kaffee und um sechs Abendbrot. Ich genieße die gemeinsame Zeit. Aber sie zerstückelt meine Tage. Zwei Stunden am Vormittag, vier am Nachmittag. Vierunddreißig Stunden, wenn jeder Tag genutzt wird. Am Montag brachte ich das Kaninchen zum Tierarzt und durfte mich mit dem Telefonanschluss beschäftigen. Nachmittags einkaufen. Ich sollte mir nicht so viele Gedanken über Zeit machen.

Die Stelle an der Uni ist bisher entspannt. Vor allem, weil ich die Aufgaben vor mir herschiebe. Dem Druck im Kopf tut es nicht gut. Ich überarbeite unterschiedliche Dokumente und versuche Struktur hineinzubringen. Dann habe ich noch ein Werkzeug getestet. Morgen wieder Teamsitzung. Ich bin schlecht vorbereitet. Nicht sehr schlecht. Dennoch sträubt es sich in mir. Das ist ein Problem. Ich mag das akademische Arbeiten, aber ich komme nur selten zu einem Gefühl, dass es fließt. Wahrscheinlich werde ich ein weiteres Semester als Bachelor studieren. Quasi Stillstand. Eine winzige Schraube ist ins Getriebe gefallen und nun knirscht alles. Kurz vor dem zerbersten.

Der große Konzern findet gut, was ich schreibe und ich darf ein weiteres Semester mit großer Freiheit Dingen nachgehen, die mich interessieren. Ich bin froh darüber und habe viele Pläne. Doch dann passiert wochenlang nichts. Ich sitze da und warte. Das ist nicht besonders klug von mir. Nein, das ist es nicht. Wer wird denn gleich wahnsinnig werden. Dafür gibt es keinen Grund. Alles ist wunderbar. Ich habe diese Freiheit und ich sollte sie nicht vergeuden. Freiheit. Freiheit. Das ist mir doch wichtig. Ich will diese Freiheit behalten. Ich möchte sie vergrößern. Sie ausleben. Sie verschlingen. Manchmal spiele ich am Computer. Es erfüllt mich nicht.

Nebenbei kleinere Projekte. Technische Umsetzung. Ich bin gut darin. Mich selbst überraschend. Und niemand meckert darüber, dass ich das doppelte Verlange. Meine Zeit ist wertvoller geworden. Es wird gewürdigt. Solange ich mich nicht darum kümmern muss, dass sie zu mir kommen, ist das auch toll. Zurückdenkend habe ich mich dabei erstaunlich selten aufgeregt. Anders als früher. Als ich viel fluchte. Heute fluche ich in anderen Situationen. In Situationen, in denen es wichtig wäre nicht zu fluchen. In denen ich ruhig sein sollte. Beruhigend. Aber ich bin beunruhigend. Ich bin der Wahnsinn, der alles kaputt macht. Macht mich kaputt. Mehr Punkte. Abfall.

Das große Projekt mit den tausenden Menschen, das ich noch voller Energie an mich gerissen habe, als sich die Möglichkeit ergab. Nicht mehr auf andere angewiesen sein. Das wollte ich. Machen können was und wie ich es für richtig halte. Und nun liegt es da und blickt mich Nacht für Nacht erwartungsvoll an. Das arme Dinge. Ich habe die Entwürfe an der Wand hängen. Es sollte großartig werden. Aber ich sehe momentan keinen Platz dafür. Bald ist es zu spät.

Schließlich habe ich wieder begonnen zu programmieren. Es macht mir Spaß und ich bin soweit, dass ich einschätzen kann, dass ich noch sehr lange brauchen werde, um die Werkzeuge zu bauen, die mir durch den Kopf schwirren. Aber ich habe sie in ihrem Kern schon im Einsatz. Nun muss ich sie nur noch für andere nutzbar machen. Und mich dafür reich beschenken lassen. Damit der Druck verschwindet. Der Druck, der trotzdem da ist. Der mich nicht ruhen lässt. Der mich immer wieder einholt, meine Temperatur nach oben treibt und den Atem verkürzt.

Ich möchte mehr schreiben. Zeit mit Freunden verbringen. Respektiert werden.

Wartungshaltung

Mein Körper und mein Kopf brauchen etwas. Ich bin mir noch nicht ganz sicher was sie brauchen, aber die Frage ist ein Anfang. Sie brauchen etwas und ich werde herausfinden was es ist.

Schreiben hat mir immer geholfen meine Wünsche, Ängste, Ideen und was sonst noch da war, aus den Synapsen rauszubekommen. Die letzten zwei Jahre habe ich fast nichts geschrieben. Das ist ein Problem. Für mich. Tausend kleine Sätze. Einer nach dem anderen. Und immer mehr. Und mehr. Wo war ich? Ja, genau. Da hinten war noch etwas. Das muss jetzt auch weg. Ich muss die Gedanken wieder strecken. Sie nicht abnicken und durchwinken. Sie sollen stehen bleiben, sich neben mich setzen und mich an ihnen teil haben lassen. Gemeinsame Wege finden für die Dinge, die nicht sind. Die man will. Vielleicht. Es muss nicht immer alles.

Dinge ausprobieren. Nicht nur die neuen und glitzernden, sondern auch einmal etwas verstaubtes. Altehrwürdige Gebäude. Und wieder holt mich die Vergangenheit ein. Die Dinge, die ich kann, die möchte man von mir haben. Dabei kann ich sie gar nicht. Dabei will ich etwas neues machen. Und dann flüchte ich mich wieder ins Bekannte. Dort macht man weniger Fehler. Das kann es auch nicht sein.

Ich lenke vom Problem ab. Die Überforderung, die kurzen Nerven, die häufigen Ausbrüche. Mir ist nach heulen. Aufstehen mit einer langen Liste im Kopf. Mit jedem Schritt, jedern Handlung, fallen die Dinge runter. Ich kann nicht mehr behalten, was ich will. Stolpere herum. Schlage mich an. Habe in allen Bereichen das Gefühl nicht zu reichen, mehr machen zu müssen, zu versagen. Ein Elend, das sich selbst auch noch Leid tut, wofür es sich hasst. Da bleibt nicht mehr viel. Aber immer funktionieren. Gerade so. Gerade so, dass die Welt nicht auseinanderfällt. Angst vor Auseinandersetzung, Angst vor Veränderung. Der einzige Weg macht mehr Angst als abzustürzen. Sitzen bleiben, liegen bleiben, wegschauen. Nicken. Immer nicken. Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht weiter.

Liebe Menschen, die mir zulächeln, Kraft geben. Ihr tut gut. Danke.

Die Menschen, die ich treffe, sind nicht die, die mir wichtig sind. Manche wären nur ein paar Stunden entfernt, andere eine Tagesreise. Fuck. Ihr fehlt. Weder Zeit noch Geld nach England oder in die Schweiz zu fliegen. Dabei seid ihr schon in den Staaten und in Hong Kong. Ihr macht das toll. Ich weiß nicht, was ich will. Drei gute Tage in Berlin. Wann werde ich euch wiedersehen? Warum schreibe ich nicht einfach eine Mail? Ich telefoniere nicht gerne. Ich möchte nicht aufdringlich sein. Vielleicht nehmt ihr mich auch ganz anders wahr, als ich euch.

Keine Ziele, nichts zum Klammern. Ich laufe auf der Stelle. Hüpfe und falle. Ich muss wohin, weiß nicht wohin. Weiß nicht. Das soll mich nicht zerbrechen.

Ich möchte dich nicht enttäuschen. Ich möchte mich nicht enttäuschen.

Auf der Suche nach Fragen.

wünschen.txt

[lightgrey_box]Projekt *.txt | Das zweite Wort | Beiträge aller Autor_innen[/lightgrey_box]

Ich hole mir Unterstützung meiner vergangenen Selbst. Dankenswerterweise habe ich mir Anregungen in Form von Textfragmenten überlassen, auf die ich nun zurückgreifen kann.

Wie materialistisch. Dabei geht es nicht um den Schaukelstuhl. Viel mehr geht es um die Idee. Ich verbinde es mit Ruhe und Entspannung. Eine gewisse Wärme. Herbstabend oder Kaminfeuer. Gelassenheit wie man sie von Menschen kennt, die schon vieles erlebt haben. Ich verliere mich oft in meinem eigenen Sog, ziehe mich runter und falle schreiend. Der Schaukelstuhl ist das Gegenteil. Gleichmäßige Bewegung. Gleichmäßiges Atmen. Lächeln.

Tatsächlich materialistisch. Der Computer ist meine Verbindung zu den meisten Menschen, die mir wichtig sind. Zugleich Arbeitsgerät. Freizeitbeschäftigung. Und alles dazwischen. Ich verbringe so viel Zeit mit dem Computer, sodass ich ein zuverlässiges und schnelles Gerät möchte.

In mir lodert immer wieder etwas auf. Ich gebe mir Mühe es klein zu halten. Manchmal schiebe ich es weg, manchmal beschäftige ich mich damit. Die Auslöser sind unterschiedlich.

Menschen und die physische Distanz zu ihnen verfolgt mich seit Jahren. Von Tirol nach Wien. Von Wien nach Paderborn. Und schon zuvor Menschen auf der ganzen Welt. Danke Internet. Ich bin dankbar diese Menschen zu kennen, aber es gibt auch genügend Momente, wo ich mir wünschte sie wären näher. In meinem Kopf sieht das wie ein Dorf aus, wo alle tollen Menschen leben. Komplett unrealistisch.

Ein neuer Wunsch. Ich hatte meist viel Zeit. Dann kam das Kind. Es ist verglichen mit anderen immer noch viel Zeit unverplant. Dennoch fehlt die Lockerheit, die mir eine Woche ohne jeglichen Terminen und Verantwortungen gab.

Quasi ein Schaukelstuhl. Im Alltag Dinge sehen, die ich sonst überlaufe. Kurz innehalten und sich erfreuen. Gelassenheit, Freude, Liebe.

Ein Wunsch, der in Erfüllung gibt und mich jeden Tag glücklich macht.

Manchmal möchte ich nur leben. Ohne Ziel. Aber nicht immer.