Ichung

Sie atmet laut. Kein Schnarchen, nur ein intensives Ein- und Ausatmen, das rauscht. Vielleicht weil ihre Nasenöffnungen noch so klein sind, vielleicht weil sie etwas aufregendes träumt. Ich sollte auch schon träumen. Immer wieder öffne ich die Augen und beobachte ich sie in der Dunkelheit. Vom Gang scheint etwas Licht herein. Als wir noch nicht wussten, wie sich alles entwickeln wird, wir nur ein Schwarzweißbild mit einem kleinen, dunklen Fleck in Händen hielte, sprachen wir oft darüber, wie wir wohl stundenlang neben dem Bettchen sitzen würden und uns an dem gleichmäßigen Auf und Ab des Brustkorbes erfreuen würden. Das sanfte Aussehen, wenn sie schlafen. Morgen ist eine größere Prüfung. Vielleicht die umfangreichste, die ich bisher geschrieben habe und zugleich eine von denen, die ich für nicht besonders wichtig halte. Dennoch muss ich sie positiv absolvieren. Die letzten Tage habe ich daher tausende Seiten Skript und Folien gelesen. Ich war bei den meisten Vorlesungen anwesend und habe das Tutorium besucht. Es wird dennoch eine Prüfung für mein Kurzzeitgedächtnis. Eine Woche, fokussiert vermutlich nur vier Tage. Und dann muss alles in einer Stunde wieder heraussprudeln. Den Stoff bin ich durch. Nun sollte ich schlafen. Vor mir dieses wunderbare kleine Wesen. Ich rücke etwas näher, sodass sich unsere Körper berühren. Sie ist warm und sieht so glücklich aus. Ich war unter ständiger Ladung. Es hat sich über Wochen aufgebaut und ich würde es nicht einmal auf die Prüfung reduzieren. Ich habe geschrien und geflucht, Dinge getreten und schreckliche Gedanken gehabt. Wie ich so liege ist der Druck ganz fern. Ich bin voller Liebe. Denke an die beste Frau der Welt. Natürlich ändert sich alles. Von der Unendlichkeit der Möglichkeiten wird ein riesiger Teil von einem Moment auf den nächsten ausgelöscht. Das zu realisieren hat bei mir Monate gedauert. Manche Dinge fallen mir erst jetzt auf. Aber was nützen all die Möglichkeiten, wenn man sie nicht ergreift? Was nützt eine Möglichkeit, wenn sie nicht die ist, die man braucht?

Auf dem Kopf ein paar Flusen. Ich küsse ihn behutsam. Wenn der Tag überstanden ist, kann ich mich auf all die Dinge stürzen, die ich weggeschoben habe, weil sie ja nicht wichtig sind. Falsch. Weil sie nicht dringend sind. Ich muss mich selbst wieder in den Griff bekommen. Selbstmitleid ist in Ordnung, Selbstverzweiflung nicht. Selbsthass ist das Stolpern auf der Treppe.

Menschen versuchen mich unter Druck zu setzen. Macht, die nur sie sehen. Sie sehen aus wie kleine Hunde, die wütend in die alten Schuhe beißen. Ihr könnt versuchen mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber ihr könnt euch nicht auf mich setzen, wenn ich gefallen bin. Euer Gewicht löst sich mit eurem Schreibtisch auf. Meine Werte sind nicht dort, wo ihr sie vermutet. Meine Kraft ist nicht die, die ihr seht. Eure Warnungen sind meine Motivation. Ich flehe euch an, setzt sie in die Tat um und hebt mich auf das Podest. Statt den Kopf zu senken, werde ich lachen und mich an saftigen Tomaten laben. Ihr könnt die große Türe zuhalten, vielleicht fünf weitere versperren. Was wenn ich in ein anderes Gebäude möchte? Eines, das ihr weder von innen, noch von außen kennt? Ich verlaufe mich in den Möglichkeiten und ihr glaubt, es würden alle auf euren Zuruf warten.

Es spielt keine Rolle mehr. Ich habe mich beruhigt und wieder zu mir gefunden. Zu einem Ich, das seit Jahren untergetaucht war. Ein Ich voller Leidenschaft. Das sich vorsichtig umdreht, um dann voller Mut weiterzulaufen. Ein Ich, das verunsichert wurde, weil es verunsichert werden kann. Ein Ich, das daraus Energie schöpft. Nicht stehen bleiben. Nicht verstecken. Aber nicht laut hinausschreien, wo man hin möchte. Glücklich sein. Für die Menschen Zeit nehmen, die man liebt. Hoffnung verbreiten. Schönes tun.

Ich liebe.

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3 Kommentare

  1. Das kommt mir vage vertraut vor.

    Zu realisieren: Man will etwas ganz anderes, man will gar nicht das, was andere wollen, oder von dem andere denken, dass man es will. Von dem man es selbst annahm.

    Befreiend!

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